Wind über den Schären: Liebesgeschichten aus Schweden (German Edition)
rief im Haus am See an, doch statt der Anwältin meldete sich ihr Sohn Lasse. Der Junge erzählte ihr, dass seine Mutter mit dem Fahrrad unterwegs sei.
Und wo war Olof?
Irma riss sich zusammen, verdrängte die hässlichen Bilder aus ihren Gedanken. Es gelang ihr, sich nichts anmerken zu lassen und sich freundlich mit dem Jungen zu unterhalten. Sie lud ihn und seine Mutter für den nächsten Tag zum Abendessen ein. Sie wollte Olof zusammen mit dieser Anwältin sehen. Vielleicht wusste sie dann mehr.
Eigentlich sollte sie zurückfahren. Sie und Lasse mussten ins Bett. Aber es war so schön am Wasser, dass Valerie sich einfach nicht dazu aufraffen konnte, aufzustehen und nach Hause zu fahren.
Sie hatte die Stelle aufgesucht, an der sie schon am Morgen mit Markus gewesen war. Valerie hatte sich auf einen der abgerundeten Felsen gesetzt, die eine natürliche uralte Mauer zwischen Wasser und Land bildeten, und schaute über das Wasser. Da, wo die Strahlen der Sonne auf die Felsen fielen, schimmerten sie rosa. Der Abendhimmel hatte einen goldenen Glanz bekommen und spiegelte sich im Wasser wider.
Plötzlich war Markus da. Valerie hatte ihn nicht kommen hören.
»Schön, dich zu sehen«, sagte er und setzte sich neben sie. So dicht, dass sich ihre Körper berührten. Er schaute sie unverwandt an.
»Das wollte ich auch gerade sagen«, erwiderte Valerie atemlos. Sein Gesicht war ihrem nahe, seine Lippen näherten sich ihrem Mund.
»Irgendwie weiß ich gar nicht mehr, wie das geht«, sagte Valerie leise.
»Was?«, fragte er ebenso leise.
Valerie lachte heiser. »Diese Sache zwischen Männern und Frauen. Ich habe nicht erwartet, noch einmal einem Mann wie dir zu begegnen.«
»Einem Mann wie mir?«
»Einem Mann, der mich so verwirrt.«
Sie sah das Leuchten in seinen Augen, spürte seine Hand auf ihrer Wange und seinen Mund auf ihren Lippen. Er küsste sie zärtlich, bevor sich seine Lippen wieder von den ihren lösten.
»Ich muss dir etwas sagen, Valerie. Ich … weißt du …«, geriet er ins Stammeln.
Valerie wollte nichts hören. Nicht jetzt. Sie wollte nur, dass er sie in den Armen hielt und küsste. Sie neigte sich vor, ihre Hand fasste sanft seinen Nacken und zog ihn zu sich.
Markus stöhnte leise auf und zog sie an sich heran. Er legte seine Lippen auf ihren Mund; sie spürte, wie seine Zungenspitze ihre Lippen öffnete, spürte seine Leidenschaft mit jeder Pore. Ihre Finger gruben sich in sein Haar, während sie leidenschaftlich seinen Kuss erwiderte. Valerie vergaß alles um sich herum, es gab nur noch sie, Markus und das stete Rauschen des Meeres.
Irma saß am Tisch und schälte Kartoffeln, als Olof nach Hause kam.
»Da bist du ja endlich«, sagte sie und konnte den leichten Vorwurf in ihrer Stimme nicht unterdrücken. »Hat alles geklappt?«
Olof wirkte in sich gekehrt. Er ging zum Schrank und nahm ein Bierglas heraus. »Was?«, fragte er zerstreut.
Irma arbeitete ruhig weiter, obwohl alle ihre Sinne angespannt waren. »Du wolltest doch etwas mit Fred klären«, sagte sie beiläufig.
»Natürlich, Fred, ja …«
Es war offensichtlich, dass er seine Ausrede für den Moment völlig vergessen hatte, und ebenso offensichtlich war es, dass er sie belog.
»Ja … ja …«, stammelte er, »… alles okay … Fred ist ja ein alter Kunde … ist nicht so schwer mit ihm.«
Es war wie ein Messerstich. Sie spürte den Einschnitt nicht sofort, dafür kam der Schmerz später mit voller Wucht. Irma riss sich zusammen, so gut es ging.
»Das freut mich«, brachte sie mühsam hervor. Eine ganze Weile schälte sie eine Kartoffel nach der anderen, als wäre dies das einzig Wichtige auf dieser Welt. Sie hörte, wie Olof den Kühlschrank aufmachte, eine Flasche herausnahm und sie öffnete. Aus den Augenwinkeln sah sie, dass er sich im Stehen ein Bier einschenkte. Er trank einen Schluck, setzte sich aber nicht. Unruhig ging er hin und her.
Als sie sich einigermaßen sicher war, ihre Stimme wieder unter Kontrolle zu haben, sagte sie so beiläufig wie möglich: »Ich habe übrigens vor, morgen mal wieder ein Familienessen zu geben. Mit Markus habe ich schon gesprochen. Vielleicht schafft Leonie es ja auch, ich hoffe es jedenfalls.«
»Ja, das wäre schön«, sagte Olof abwesend.
»Glaubst du, dass zwischen den beiden alles in Ordnung ist?«, brachte Irma über die Lippen.
Ist zwischen uns noch alles in Ordnung?, war aber die eigentliche Frage, die sie quälte und nicht zu stellen wagte. Weil sie Angst vor einer
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