Wind über den Schären: Liebesgeschichten aus Schweden (German Edition)
das? Ich spreche von der Frau, die ihr Gedächtnis verloren hat. Sie hat doch bei euch angerufen. Sie ist ungefähr eins fünfundsechzig groß, schlank und hat lange braune Haare.«
»Die Frau hat sich ganz bestimmt nicht bei uns gemeldet«, versicherte der Polizist. »Sollen wir denn jetzt ermitteln?«
»Ja … nein …« Magnus war verwirrt und spürte, wie Wut in ihm aufstieg. »Sagt mir einfach Bescheid, wenn ihr etwas von einer vermissten Frau hört«, bat er schließlich. »Die Beschreibung hast du ja jetzt.«
Der Polizist versprach, sich umzuhören. Magnus bedankte sich und beendete das Gespräch. Eine ganze Weile verharrte er reglos, unfähig, sich zu bewegen. Seine Gedanken rasten. Schließlich stürmte er eilig aus seinem Büro.
Auch auf dem Heimweg gelang es Lucia nicht, sich zu entspannen. Sie wusste genau, dass Lars im Grunde recht hatte. Irgendwann wurde man von der Vergangenheit eingeholt.
Vielleicht aber auch nicht, dachte sie trotzig. Dr. Carlsson hatte zwar gesagt, dass eine vollständige Amnesie nach einem Unfall selten vorkam, aber vielleicht war sie ja gerade einer dieser wenigen Fälle.
Sie wusste, dass jeder sie für verrückt hielt, wenn sie zugab, dass sie sich nicht erinnern wollte. Wie sollte sie den Leuten auch erklären, dass sie sich durch ihre Erinnerungen bedroht fühlte, und zwar so sehr, dass die Angst die Neugier überwog. Irgendetwas in ihr sagte ihr, dass sie das, was hinter ihr lag, nicht wollte. Aber wie konnte man sich auch durch etwas bedroht fühlen, das man überhaupt nicht kannte?
Ich würde das auch für völlig abwegig halten, wenn es mich nicht selbst betreffen würde, dachte sie.
Irgendwann holt es mich ein …
Sie bog in einen Feldweg ein und konzentrierte sich auf die Landschaft. Hier draußen war kein Mensch. Blühende Felder und Wiesen, wohin sie schaute, und dahinter schimmerte blau die Ostsee.
Als sie von dem Feldweg auf die Straße einbog, sah sie schon von Weitem den Kombi, der sich rasch näherte. Es war Magnus’ Wagen.
Lucia stellte ihr Fahrrad ab und wartete am Straßenrand auf ihn. Als der Wagen neben ihr anhielt, lief sie zur Fahrertür, aus der Magnus gerade stieg. Sie freute sich, ihn zu sehen.
»Hej, Magnus!«, rief sie ihm aufgeregt entgegen. »Ich habe bei Lars kiloweise Äpfel gekauft. Könntest du sie …?«
»Wer bist du?«, herrschte Magnus sie an. Sein Gesicht war angespannt, und die Wut in seiner Stimme erschreckte sie. Sie trat einen Schritt zurück.
»Was?«, war alles, was sie hervorbrachte.
»Ich will wissen, wer du bist.« Seine Augen waren dunkel vor Zorn.
»Du weißt doch, dass ich nichts über mich weiß«, sagte sie hilflos. Sie hatte keine Ahnung, was er von ihr wollte, im nächsten Moment allerdings wurde ihr schlagartig klar, was geschehen war.
»Du hast behauptet, du hättest dich bei der Polizei gemeldet.« Magnus starrte sie an, und Lucia konnte seinem Blick plötzlich nicht mehr standhalten.
»Das war eine Lüge«, fuhr er fort, seine Stimme war jetzt eiskalt. »Die Polizei weiß nichts von dir. Also muss ich doch wohl davon ausgehen, dass du weißt, wer du bist, und uns allen hier etwas vorspielst.«
Irgendwann holt es einen ein, hallten Lars’ Worte in ihrem Kopf. Sie sah seinen Schmerz und spürte, wie die Verzweiflung sie wie eine Welle überspülte. Sie hatte geahnt, dass ihre Lüge sie einholen würde, die Folgen jedoch hatte sie nicht bedacht.
»Das denkst du doch nicht wirklich?«, rief sie laut. »Es stimmt, ich habe nicht bei der Polizei angerufen. Aber doch nicht, weil ich weiß, wer ich bin«, sagte sie verzweifelt.
»Sondern …?«, fuhr er sie an.
Lucia zögerte. Sie wusste, dass es keinen anderen Weg als die Ehrlichkeit gab, das war sie ihm und sich schuldig. Sie schluckte. »Weil ich Angst habe«, sagte sie schließlich. »Und weil ich Zeit gewinnen wollte. Für mich … für uns …«
Sie spürte seinen Blick, war aber unfähig, den Kopf zu heben. Aus den Augenwinkeln sah sie, dass er die Hände ausbreitete. »Das ist doch Blödsinn, Lucia.« Seine Stimme klang jetzt ruhiger, warm fast. »Du kannst doch nicht so tun, als hätte dein Leben gerade erst angefangen.«
Lucia konnte die Tränen nicht zurückhalten. In kleinen warmen Bächen liefen sie ihr die Wangen hinunter. »Ich weiß aber nicht, was mich erwartet«, brachte sie mühsam hervor. »Da ist diese Angst, ein unbestimmtes Gefühl. Magnus, ich weiß nicht, wie mein altes Leben war, aber ich bin ganz sicher, dass ich nicht mehr
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