Windbruch
Schlepptau, die hektisch mit den Armen wedelte. „Er ist
einfach so reingerannt“, sagte sie weinerlich und hob entschuldigend die Hände.
„Schon gut, Annemarie“, winkte
Naumann ab, „Herr Dr. Sieverts ist doch immer herzlich willkommen.“ Das bemühte
Lächeln, das er bei diesen Worten aufsetzte, strafte seinen Worten allerdings Lügen.
Man sah ihm an, dass er auf ein Gespräch mit Maarten keinen gesteigerten Wert
legte. Was dem allerdings völlig egal war. Hier ging es um Wichtigeres als
Naumanns Befindlichkeiten.
„Wir müssen die Leute von der Windlady
II zurückholen, sofort!“, fiel Maarten mit der Tür ins Haus.
„Setzen Sie sich doch, Herr Dr.
Sieverts“, erwiderte Naumann und verzog süffisant grinsend das Gesicht. „Soviel
Zeit muss sein.“
„Nein“, sagte Maarten barsch,
„wir haben keine Zeit. Sie müssen sofort die Bauplattform räumen lassen.“
Naumann schaute ihn unbeeindruckt
an. „Und warum sollte ich das tun?“
„Orkan. Es wird einen Orkan
geben.“
Mit einem tiefen Seufzer lehnte
sich Naumann in seinen protzigen Ledersessel zurück und verschränkte die Beine.
„Ach, Sieverts“, seufzte er dann, „wie Sie wissen, höre ich morgens als erstes
den Seewetterbericht und lasse mir laufend Meldung machen. Und Windstärke neun
ist schwerlich ein Orkan zu nennen und auch kein Grund, sich über irgendetwas
Sorgen zu machen. Das sollten Sie als Ostfriese eigentlich wissen.“ Das Wort Ostfriese kam ihm dabei so abfällig über die Lippen, dass Maarten ihn am liebsten direkt
über den Tisch gezogen und ihm sein schmieriges Grinsen aus dem Gesicht gewischt
hätte.
„Eben weil ich Ostfriese bin,
weiß ich, dass es nicht bei Stärke neun bleiben wird“, zischte Maarten, legte
seine Hände auf den Schreibtisch und beugte sich zu Naumann vor. „Und deshalb
fordere ich Sie auf: Holen Sie die Leute zurück!“
„Ich habe Ihnen bereits gesagt,
dass es dafür keinen Grund gibt.“ Nun verlor auch Naumann die Fassung und
schlug mit der Faust auf den Tisch. „Orkan. Pah! Wer hat Ihnen eigentlich
diesen Schwachsinn ins Ohr gesetzt, Sieverts?“
„Ein alter Fischer aus Greetsiel
hat mir ...“
„Ein Fischer!“, grölte Naumann
und stieß ein bitteres Lachen aus. „Ein armseliger Fischer faselt irgendwas vor
sich hin und Sie markieren hier den dicken Max? Glauben Sie etwa auch noch an
den Klabautermann? Eines will ich Ihnen sagen, Sieverts, der Chef hier bin
immer noch ich. Und was ich sage, das wird hier gemacht. Ihre, mit Verlaub,
schwachsinnigen Befürchtungen, die können Sie woanders loswerden, aber bei mir,
Sieverts, kommen Sie damit nicht weiter.“ Wieder donnerte Naumann mit der Faust
auf den Tisch, das Gesicht wutverzerrt. „Und jetzt weiß ich auch, wer diesen
Schwachsinn auf der Plattform verbreitet hat. Die haben mich nämlich auch schon
angerufen und sich vor Angst ins Hemd gemacht. Ich schwöre, das wird ein
Nachspiel haben, Sieverts!“
Maarten glaubte zu explodieren
und atmete tief durch. „Wenn da draußen was passiert, dann tragen Sie, und ausschließlich
Sie, dafür die Verantwortung“, fauchte er und zeigte mit spitzem Finger auf
sein Gegenüber. „Und dann, dann wird die Sache für Sie ein Nachspiel haben,
Naumann, da können Sie Gift drauf nehmen!“
„Raus, Sieverts, gehen Sie mir
aus den Augen!“, sagte Naumann nun mit gefährlich leiser Stimme.
„Nichts lieber als das.“
Wutentbrannt drehte Maarten sich um und hörte im Hinausgehen noch die Worte Ostfriesen und alle plemplem .
„Uuh, ich liebe laute Männer“,
gurrte Annemarie, als Maarten an ihr vorbeirauschte. „Haben Sie vielleicht Lust
auf eine Tasse Kaffee, Herr Dr. Sieverts?“
Maarten drehte sich zu ihr um.
„Den Kaffee, liebe Annemarie, den bringen Sie lieber ihrem Chef. Der kann ihn
jetzt gebrauchen. Oder nein, doch lieber einen Schnaps. Denn den wird er schon
bald bitter nötig haben.“
Annemarie zupfte wie
unbeabsichtigt an ihrem weit ausgeschnittenen Dekolleté herum. „Mögen Sie keine
Frauen, Herr Dr. Sieverts?“, fragte sie mit einem unschuldigen Augenaufschlag.
„Doch, Frauen schon“,
antwortete er und lächelte sie dabei süffisant an. Damit öffnete er die Tür und
war verschwunden.
Immer noch außer sich vor Wut
stürmte Maarten wenig später wieder in sein Vorzimmer. „Franziska“, rief er,
noch bevor er die Tür richtig geöffnet hatte, „ruf bitte mal Tomke zu mir! Ich
muss dringend mit ihr sprechen.“
„Wird gemacht, Chef“, rief
Franziska zurück.
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