Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Windbruch

Windbruch

Titel: Windbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Bergsma
Vom Netzwerk:
legte
der Kutter an, auf dem sich die toten Körper der jungen Männer befanden. Als
sie von vier kräftigen Männern auf Holzplanken von Bord getragen wurden, fingen
wie auf ein geheimes Kommando hin alle Nebelhörner der umliegenden Schiffe an
zu dröhnen, und auch die Kirchenglocken setzten zum Totengeläut an. Die Männer
am Kai zogen ihre Mützen und senkten verneigend die Köpfe. Vereinzelt waren
verhaltene Schluchzer zu hören, die lauter wurden, als die Mutter der beiden toten
Männer mit unsicheren Schritten auf die kleine Todesprozession zuwankte und
beim Anblick ihrer leblosen Söhne von stummen Weinkrämpfen geschüttelt zusammenbrach.
    Auch Maarten stand in der Menge
und hatte längst aufgehört, sich ständig die Tränen von den Wangen zu wischen.
Stumm ließ er seiner Trauer freien Lauf. Er fühlte sich ausgehöhlt und leer. Er
wusste, dass dieser Schmerz, den er in den letzten bangen Stunden empfunden
hatte, ihn nie wieder ganz verlassen würde. Inzwischen hatte er gehört, dass Tomke
nicht unter den Toten war, ihr Leben aber am seidenen Faden hing. Genau wie das
von Georg Hufschmidt, der sich auch auf der Plattform befunden hatte, als es zu
diesem furchtbaren Unglück gekommen war.
    Unglück? Maarten verzog
verbittert das Gesicht. Mord. Es war Mord. Und sobald er Tomke, die gerade auf
dem Weg in die Klinik war, besucht hatte, würde er zu Naumann gehen und ihm
genau das ins Gesicht brüllen. Und er würde ihn verklagen. Nicht nur, weil er
die zwanzig Menschen trotz aller Warnungen nicht rechtzeitig hatte evakuieren
lassen. Nein, er war überzeugt, dass Naumann darüber informiert war, dass die
Konstruktionspläne der Windlady II manipuliert worden waren. Wenn er es
nicht sogar selber angeordnet hatte. Dafür würde er Rechenschaft ablegen müssen.
Ja, Naumann war zum Mörder geworden. Und er, Maarten, würde dafür sorgen, dass
er die gerechte Strafe erhielt. Wenn es für all das Unglück, das über die
Menschen hier gekommen war, überhaupt eine gerechte Strafe geben konnte.
    Als alle Kutter vertäut und die
Fischer wieder von Bord waren, löste sich die Menschenmenge langsam auf. Auch
Maarten machte sich auf den Weg zu seinem Auto. Er hatte Angst. Denn er wusste
nicht, was ihn gleich im Emder Krankenhaus erwartete. Würde Tomke noch leben?
Oder musste er womöglich schon bald einen weiteren geliebten Menschen zu Grabe
tragen? Gerade, als er ins Auto einstieg, legte sich eine Hand auf seine
Schulter. Simon und Swaantje standen neben ihm. „Sie haben Tomke gerade
eingeliefert“, sagte Swaantje leise, „eine Freundin aus dem Krankenhaus hat
mich angerufen, ich hatte sie darum gebeten. Sie sagt, Tomke hat den Transport
gut überstanden. Sie schwebt aber nach wie vor in Lebensgefahr.“
    Maarten nickte stumm und
schluckte. „Und Hufschmidt?“, fragte er.
    „Dasselbe. Leider.“
    Ohne ein weiteres Wort zu sagen
zog Maarten die Autotür zu und fuhr durch die schmalen Gassen von Greetsiel
davon. Der Spätherbst zeigte sich an diesem Morgen von seiner schönsten Seite,
und zu jedem anderen Zeitpunkt hätte Maarten es genossen, über die malerischen
ostfriesischen Dörfer zurück nach Emden zu fahren und die unversperrte Weite
der ostfriesischen Landschaft mit dem scheinbar endlosen Horizont links und
rechts der Straßen zu genießen. Aber heute empfand er diese Stimmung als
deplatziert, ja, als geradezu zynisch. Es kam ihm vor, als würde dieser heraufziehende
klare und sonnige Tag die Toten verspotten, die der vergangenen Nacht so
heimtückisch zum Opfer gefallen waren.

34
    Sie ließen ihn nicht zu ihr. Aber
immerhin durfte er durch die Scheibe sehen, hinter der Tomke regungslos auf
ihrem Bett lag, an zahlreichen Kabeln und Schläuchen hängend, so dass von ihrem
schmalen Gesicht kaum etwas zu sehen war. Die Monitore zeigten an, dass sie
noch lebte, auch wenn sie selber keinerlei Lebenszeichen von sich gab und sich
auch die Bettdecke unter ihren Atemzügen kaum hob und senkte.
    Frau Coordes saß am Bett ihrer
Tochter, massierte die Finger ihrer linken Hand und redete leise auf Tomke ein.
Einmal drehte sie sich kurz um und nickte Maarten kaum wahrnehmbar zu. In ihren
umnächtigten Augen standen Sorge und Angst um ihre einzige Tochter und die
bange Frage, welchen Alptraum diese in der vergangenen Nacht wohl hatte
durchleben müssen.
    „Wie geht es ihr?“, fragte
Maarten die Ärztin, die den Gang entlang kam und sich anschickte, Tomkes Zimmer
zu betreten.
    „Sind Sie ein Angehöriger?“,
fragte sie

Weitere Kostenlose Bücher