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Windkämpfer

Windkämpfer

Titel: Windkämpfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Redick
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konnte es doch kaum erwarten, das Pensionat zu verlassen. Ob die alte Frau wusste, dass ein freundlicher Abschied auf Dauer mehr schmerzte als Grausamkeit? Oder war sie schon so rettungslos verdorben, dass sie sogar Friedensgesten als Angriffe deutete?
    Kannten die Schwestern sie womöglich besser als sie sich selbst?
    Sie durchquerte die Große Halle fast im Laufschritt. Ihre Habseligkeiten hatte sie an diesem Tag bereits mit einer Kutsche vorausgeschickt, und sie hatte sich auch schon verabschiedet. Es war nicht leicht gewesen. Ihre wenigen Freundinnen hatten ihr vorgehalten, sie ließe sie im Stich. Konnte sie es bestreiten?
    Die Schwester an der Pforte öffnete ihr einen kleinen Umkleideraum. Sobald sie gegangen war, wischte sich Tascha die Tränen ab und öffnete das Kleiderbündel. Dann musste sie lachen: es enthielt ein Männerhemd und ein Paar enger Kniehosen. Sogar die Stauermütze war dabei. Aus Protest gegen ihre Verbannung hatte sie vor zwei Jahren in diesem Aufzug vor der Pforte gestanden. Inzwischen war ihr alles etwas zu eng geworden.
    Als sie sich umgezogen hatte, verließ sie den Raum und gab ihren Schulumhang ab.
    »Ich nehme ihn für dich in Verwahrung«, sagte die Schwester.
    Man konnte die Förmlichkeit auch zu weit treiben, dachte Tascha. Aber sie verneigte sich zum Dank, die Schwester schloss ein Türchen in dem Tor mit den Eisenspitzen auf, und Tascha trat hinaus in die Freiheit. Es war ein herrlicher Sommerabend, und vom Ool wehte eine leichte Brise herüber.
    Vergnügt machte sie drei Schritte – und hielt jäh an. Ein Gedanke hatte sie wie ein Stiefeltritt vor das Schienbein getroffen.
    Sie ging zur Pforte zurück. »Schwester!«, rief sie. »Sie sagten, Sie würden den Umhang in Verwahrung nehmen. Wozu?«
    Die Schwester schaute über die Schulter. »Was für eine dumme Frage, Kind. Damit er wieder getragen werden kann.«
    Tascha holte tief Atem. »Natürlich, Schwester, damit er wieder getragen werden kann. Ich habe mich ungenau ausgedrückt, verzeihen Sie mir.«
    »Schon gut! Gute Nacht.«
    »Schwester, bitte, ich wollte sagen, für wem …«
    »Für wen!«
    »Für wen, gewiss doch, für wen!«, rief Tascha und kniff die Augen zu. »Für wen bewahren Sie ihn auf?«
    »Für wen ist natürlich in diesem Fall die richtige Form. Was hast du nur, Kind – bist du krank? Wir bewahren ihn natürlich für dich auf.«
    »Aber ich komme nicht wieder!«
    Die Schwester schnalzte ungeduldig mit der Zunge. »In dem Brief von deines Vaters, deines Vaters … von Lady Syrarys steht ganz unmissverständlich, dass er darum bittet, dich vorübergehend zu beurlauben …«
    »Vorübergehend!«, rief Tascha.
    »Er will dir sicherlich bessere Manieren beibringen!«, fuhr die Schwester sie an. »Noch keine drei Schritte aus dem Tor, und schon fällt sie einem ins Wort! Möge der Engel dir vergeben. Die Tochter einer Reinemachefrau wüsste es besser, aber die Tochter des Botschafters, nein, sie …«
    »Botschafter!«
    »Fräulein Tascha, warum plappern Sie mir jedes Wort nach wie ein Papagei? Ich wünsche Ihnen hiermit ein letztes Mal eine gute Nacht !«
     
    *     *     *
     
    Tascha klemmte sich die Lederhülle mit dem Buch unter den Arm und rannte, wie sie seit ihrer Flucht vor dem Gendarmen nicht mehr gerannt war. Das pralle Leben von Etherhorde – lachende Jungen an einem Springbrunnen, alte Männer, die auf einem kurzgeschorenen Rasen Kugelwerfen spielten, die Hitze und der Duft nach Sauerteig aus einer Bäckerei, die Nunekkam-Flöten in den Schatten, als pfeife jemand in einer Höhle –, nach alledem hatte sie sich zwei Jahre lang gesehnt, und nun nahm sie kaum etwas davon wahr. Die Geschehnisse des Abends ergaben plötzlich einen erschreckenden Sinn. Man wollte sie zurückschicken! Tascha wusste, dass das ohne Beispiel war: Das Accateo gewährte keinen Urlaub. Sicherlich steckte ihr Vater dahinter. Nur er hätte genügend Einfluss, um gegen Sitten und Gebräuche anzugehen, die in siebenhundert Jahren unumstößlich geworden waren.
    Eberzam Isiq war Admiral im Ruhestand, Befehlshaber nicht nur eines Schiffes, sondern einer ganzen Flotte, die vor fünf Jahren von Ulsprit her entlang der Chereste-Küste auf eine Stadt namens Ormael zugefegt war. Mit welchem Auftrag? Piraten zu töten, sagten die einen. Rebellen, Verräter am Imperium zu vernichten, sagten die anderen. Ihr Vater hatte dazu nur leise gelacht und erklärt, das sei Ansichtssache.
    Immerhin schienen sich alle darin einig zu sein, dass

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