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Windkämpfer

Windkämpfer

Titel: Windkämpfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Redick
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Meeres zu schicken. Aber Pazel hatte nie gelernt, sie so zu hassen wie ein echter Arqualier: Manchmal fühlte er sich selbst wie ein Ixchel. Ein kleines, unerwünschtes Wesen, das sich in den Ritzen und Fugen des Reiches verstecken musste.
    Wichtiger war, was sich neben der Chathrand abspielte. Man hatte zwei riesige Fahrgastbrücken herangefahren, die verdächtig wie Belagerungstürme vor einer Festungsmauer aussahen. Das Geschehen an der hinteren Brücke war vertraut: Matrosen und Schauerleute eilten geschäftig mit Fässern, Kisten und anderen Proviantbehältern die zickzackförmigen Rampen hinauf und hinunter, es herrschte jene geordnete Hektik, die dem Auslaufen jedes Schiffs voranging. An der vorderen Brücke gingen jedoch merkwürdige Dinge vor.
    Hier waren schon im Morgengrauen Scharen von mehr oder weniger Bedürftigen zusammengeströmt: junge Männer mit ihren Liebsten, ausgemergelte Greise und Großmütter in verblichenen Kitteln. Am zahlreichsten waren allerdings die Knaben: zerlumpte, ausgehungerte Gestalten, deren Blicke unaufhörlich zwischen dem Schiff und einer ganz bestimmten Straße an der Rückseite des Platzes hin und her huschten.
    Die Menge stand hinter einem neu errichteten Holzzaun, der einen großen Halbkreis vor der Fahrgastbrücke abtrennte. Die Brücke war frei, aber hinter dem Zaum standen Kaiserliche Seesoldaten mit gesenkten Speeren Wache. Neben der Brücke stand eine Tribüne, auf der sich in blendend weißen Uniformen, die Hüte in der Hand, drei Schiffsoffiziere in Habtachtstellung postiert hatten. Sie standen völlig reglos, aber Pazel sah, dass auch sie verstohlen die Straße beobachteten. Wie alle anderen auch.
    Am Ende der Mole angekommen, wandte sich Pazel an eine Gruppe von älteren Männern, die etwas abseits standen.
    »Ich bitte um Verzeihung. Was geht hier vor?«
    Als sie die Köpfe drehten, erkannte Pazel die Fischer, die ihn am frühen Morgen getröstet hatten. Nun sahen sie erst ihn an, dann verständigten sie sich mit einem Blick. In ihren Augen funkelte der Schalk, und mit einem Mal brachen sie in Gelächter aus.
    »Was hier vorgeht, will er wissen! He! He!«
    Einer der Männer fasste Pazels Hand und untersuchte sie. »Rau wie ’ne Tierpfote! Ein Teerjunge, was sonst?«
    »Soll’n wir ihn …? Soll’n wir ihn …?«
    »Oh ja, denk’ schon. He, he, he!«
    Ein anderer – der alte Seebär, der ihn zum Frühstück eingeladen hatte – beugte sich zu Pazel nieder und schaute ihm ins Gesicht. »Du willst also, dass wir dir helfen?«
    »Mir helfen?«, fragte Pazel misstrauisch. »Wie denn?«
    Mit einem Mal geriet die Menge in Bewegung, und Stimmen wurden laut: »Da kommt der Kapitän! Der neue Kapitän!« Alle Augen richteten sich auf die Straße, wo fernes Hufgetrappel zu hören war. Immer noch grinsend, packten die Fischer Pazel an beiden Armen und schoben ihn nach vorn.
    »Macht Platz, ihr Damen und Herren! Für den Jungen hier bürgt die Gilde! Er is’ ein Schützling der Gilde!«
    Die Fischer hatten offenbar einen gewissen Einfluss: Die Menge machte, wenn auch widerwillig, Platz. Als sie den Zaun erreichten, riefen sie die Seesoldaten an.
    »Heda, ihr Blechröcke! Nehmt den hier! Is’ ein gestandener Teerjunge! Auf Gildenehre!«
    Pazel zuckte zusammen und wollte sich wehren. »Was … wo …«
    »Still, du Dummkopf!«, zischten sie. »Du suchst doch ein Schiff, oder etwa nicht?«
    Ein Soldat trat auf sie zu und deutete unwirsch auf Pazel. »Ist er ausgebildet?«, schrie er über den Lärm hinweg.
    »Ausgebildet, erfahren und gesund!« Der Fischer streichelte Pazel wie einen Schoßhund.
    »Dann gebt ihn rüber! Schnell!«
    Bevor Pazel protestieren konnte, hatten ihn die Fischer über den Zaun gehievt. Er plumpste auf der anderen Seite zu Boden, und der Soldat zog ihn sofort auf die Füße hoch und zerrte ihn über den Platz. Die Jungen hinter dem Zaun starrten ihn so wütend an, als hätte er sie betrogen. Pazel musste grinsen, denn jetzt begriff er erst, wie ihm geschah. Er glaubte zu träumen. Hier fand das Anmustern für die Chathrand statt, um vor Antritt der großen Reise etwaige Lücken in der Besatzung aufzufüllen. Und die alten Fischer hatten ihn als einen der Ihren eingeschleust.
    Chadfallow hatte gewollt, dass er an Land zurückblieb – Pazel hatte keine Ahnung, warum –, aber er würde dem Arzt einen Strich durch die Rechnung machen. Noch bevor der Tag zu Ende ging, würde er wieder auf einem Schiff sein. Und nicht nur auf irgendeinem Schiff!
    Die

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