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Windkämpfer

Windkämpfer

Titel: Windkämpfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Redick
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Jungen hinter dem Zaun streckten die Finger durch die Latten und zischten: »Ungerecht! Ungerecht!«
    In diesem Moment öffnete sich im Zaun ein Tor. Der Soldat drückte Pazel gegen die Schiffsplanken und befahl ihm, sich still zu verhalten. Eine rote Kutsche, von zwei Pferden gezogen, bog um die Straßenecke. Seesoldaten marschierten vor ihr her und bahnten mit lautem Gebrüll eine Gasse durch die Menge. Von der Chathrand erschallten klagende Töne aus sechs Trompeten. Als die Kutsche den Zaun erreichte, mussten die Soldaten die Menge mit ihren Speeren zurückdrängen, um das Tor hinter ihr wieder schließen zu können. Doch als sie vor der Tribüne anhielt, verstummten Trompeten und Stimmen wie auf ein Stichwort. Der Kutscher stieg schweigend von seinem Bock und öffnete den Schlag.
    Als Erste erschien eine uralte Frau. Pazel riss erstaunt die Augen auf: Es war Lady Oggosk, die Herzogin, die ihn ausgelacht und von seinen Tränen gekostet hatte. Der Fahrer half ihr herunter, griff dann in den Fahrgastraum – und fuhr mit einem Schmerzensschrei zurück. Im Sonnenschein war das Blut auf seiner Hand für alle deutlich sichtbar. Die Alte keckerte. Dann beugte sie sich selbst ins Innere der Kutsche und nahm eine riesenhafte rote Katze vom Boden auf. Der Dieb!, dachte Pazel.
    Denn es gab keinen Zweifel: Lady Oggosks Katze war dasselbe Tier, das ihm seinen Puffer gestohlen hatte. Ohne die Menge eines Blickes zu würdigen, ging die Lady zur Tribüne und schleppte sich mühsam die Stufen hinauf.
    Als Nächster stieg ein schwarzer Mann in einem vornehmen blauen Wams aus der Kutsche. Er zog ratlose Blicke auf sich. Ein Noonfirther? Oder eine andere, noch exotischere Rasse? Niemand wusste so recht etwas dazu zu sagen. Auch der Schwarze übersah die Menge und erklomm hinter der Alten die Treppe.
    Dann kam die Hand zum Vorschein. Schwer und von Narben gezeichnet, umfasste sie den Rand der Kutschentür. Am schwarzen Ärmel und den goldenen Manschettenknöpfen war zu erkennen, dass nun endlich der Kapitän des Großen Schiffs an der Reihe war.
    Doch als der Mann vollends sichtbar wurde, versank die Menge noch tiefer in Schweigen. Er war ein kräftiger Seemann mit bedächtigen Bewegungen. Der rote Bart war sorgfältig gekämmt. Die tiefliegenden, von Runzeln umgebenen Augen in dem blassen Gesicht musterten die Versammelten aufmerksam. Der Mund war nur ein schmaler Strich, der von verhaltenem, vielleicht auch nur mühsam beherrschtem Zorn kündete.
    Rose.
    Der Name brach die Stille und durchlief – ängstlich geflüstert – die Menge. Rose! Rose! Pazel drehte sich verwirrt um. Das Geflüster wurde zum Stöhnen. Eheleute sahen sich an; sogar die Seesoldaten schienen verblüfft. Die Jungen am Zaun verfolgten wie gebannt den Rotbart, der jetzt um die Kutsche herumhinkte.
    Dann machte die ganze Jungenhorde kehrt und rannte davon. Frauen stießen schrille Schreie aus; Männer brüllten sich an: »Du hast gesagt, es wäre Fiffengurt! «
    » Ja, und du hast auf Frix getippt!« Einer von den Kühneren warf eine Melone nach der Kutsche. »Geh zurück auf die Inseln, Rose! Lass unsere Jungen in Frieden! «
    Doch Rose ging seelenruhig auf die Tribüne zu, ohne das Geschrei zu beachten, und die Jungen wurden nicht in Frieden gelassen. Während alle Augen auf die Kutsche gerichtet waren, hatten Gruppen von kleinwüchsigen, aber breiten Gestalten in den Straßen und Gassen Position bezogen und sämtliche Ausgänge des Platzes besetzt. Sie hatten sich dicke Kapuzen über die Köpfe gestreift. Ihre Arme wirkten zu lang im Verhältnis zum Körper.
    »Flikker!«, gellte ein Schrei. Was hatten die im Hafen zu suchen?
    Die Frage wurde bald beantwortet. Die Gestalten fingen einen der flüchtenden Jungen nach dem anderen ein, rissen sie weg von Eltern und Freunden und zerrten sie, so sehr sie sich auch sträubten und jammerten, zur Tribüne. Dort unterzog ein blonder Offizier jedes Opfer einer flüchtigen Musterung (zwei Arme, zwei Beine, zwei Augen, alle Zähne), kritzelte etwas in ein dickes Buch und warf dem Flikker eine Goldmünze zu.
    Die Eltern in der Menge waren empört. Sie hatten bereits einen Obolus entrichtet, um den Platz überhaupt betreten und auf gut Glück nach einer Anstellung für ihre Söhne suchen zu dürfen. Selbst die Waisen, die allein gekommen waren, hatten eine Kupferschnecke bezahlt.
    »Flikker! Wer hat die angeheuert? Diese stinkende Schiffs-Kompagnie?«
    »Die Soldaten sollten mit diesen Blutsaugern nicht

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