Winslow, Don
Uniformen ab und stehen plötzlich in
Zivil da, sie legen ihre Waffen auf den Boden und gehen ganz gemächlich zum
Abflugschalter. Dann kommen die Barreras mit den Überlebenden der Kindercrew
und den Profis in die Halle. Sie müssen über Leichen steigen - nicht nur Poptop
und die zwei Sicarios von Méndez mussten dran glauben, auch sechs Unbeteiligte. Die Halle ist ein einziges
Chaos. Menschen weinen und schreien, Sanitäter arbeiten sich zu Verwundeten
durch, und mitten im Durcheinander steht Kardinal Antonucci und ruft:
»Beruhigen Sie sich doch! Beruhigen Sie sich doch!
Was ist denn passiert? Kann mir jemand sagen, was hier passiert ist?«
Er hat Angst, hinauszugehen, sich mit eigenen Augen zu überzeugen, er hat
ein unangenehmes Gefühl im Magen, es ist wirklich ein Skandal, ihn einer
solchen Lage auszusetzen. Scachi hatte nicht mehr von ihm verlangt, als zum
Treffen mit Parada zu fahren, und nun wird er hier mit solchen Szenen konfrontiert. Und ist
beschämt und erleichtert zugleich, als ein junger Mensch an ihm vorbeiläuft und
seine Frage beantwortet.
»Wir haben Gúero Méndez fertiggemacht! El Tiburón hat ihn fertiggemacht!«
Der Barrera-Trupp geht in aller Ruhe auf das Flugzeug zu und bildet eine
ordentliche Schlange, damit alle ihre Tickets zeigen können, wie bei jedem
normalen Flug. Sie erhalten ihre Bordkarten, steigen die Gangway hinauf und
betreten das Flugzeug. Adán
Barrera trägt immer noch seine Reisetasche mit
der Kalaschnikow, aber die geht als normales Handgepäck durch, zumal er
Business Class fliegt.
Probleme hat nur Raúl, weil er den bewusstlosen Callan auf der Schulter trägt.
Die Stimme der Flugbegleiterin zittert, als sie sagt: »So kann der Mann
nicht an Bord.«
»Er hat ein Ticket«, sagt Raúl.
»Aber -«
»Business Class.« Er überreicht ihr das Ticket und geht an ihr vorbei, die
Gangway hoch. Findet Callans reservierten Platz und lässt ihn auf den Sitz
plumpsen, dann breitet er eine Decke über sein blutverschmiertes Hemd und sagt
zu der geschockten Stewardess: »Zu viel gefeiert.«
Adán setzt sich
neben Fabián, der zum Cockpit hinüberruft: »Worauf wartet ihr?«
Der Pilot schließt einfach die Kabinentür.
Als das Flugzeug landet, werden sie von Flughafenpolizei empfangen und
durch einen gesonderten Ausgang zu bereitstehenden Fahrzeugen eskortiert. Und Raúl gibt nur einen
einzigen Befehl aus.
Verdrückt euch.
Callan weiß auch so, was er zu tun hat.
Er lässt sich vor seinem Haus absetzen, geht unter die Dusche, zieht sich
saubere Sachen an, steckt sein Geld ein und nimmt ein Taxi zum Grenzübergang
San Ysidro. Er läuft zu Fuß über die Brücke und betritt die Vereinigten
Staaten. Einer von vielen Gringos, die sich auf der Avenida Revolución die Kante
gegeben haben.
Neun Jahre war er weg.
Jetzt ist er zurück in einem Land, wo er als Sean Callan zur Fahndung
ausgeschrieben ist, wegen organisierter Kriminalität, Drogenhandel,
räuberischer Erpressung und Mord. Es ist ihm schon egal. Lieber hier als eine
Minute länger in Mexiko. Er steigt in den knallroten Shuttle und fährt bis ins
Zentrum von San Diego.
Anderthalb Stunden später hat er ein Waffengeschäft gefunden, in der
Fourth, Ecke J, wo er im Hinterzimmer eine 22er bekommt, ohne seine Papiere zu zeigen. Dann besorgt er sich eine Flasche
Scotch und mietet sich für eine Woche in einem Billighotel ein.
Schließt die
Tür ab und fängt an zu trinken. Ich vergebe dir, hat der Priester gesagt. Gott
vergibt dir.
Nora ist in
ihrem Schlafzimmer, als sie die Nachricht hört.
Sie liest, im Hintergrund läuft CNN, als sie einen Satzfetzen aufschnappt:
»... gleich mehr über den tragischen Tod des höchstrangigen mexikanischen
Geistlichen. Bleiben Sie dran.«
Ihr bleibt das Herz stehen, in ihrem Kopf hämmert es, sie tippt während
des endlosen Werbeblocks immer von neuem die Kurzwahl von Juans Nummer ein,
hofft und betet, dass er abnimmt, dass nicht er gemeint ist, dass er sich
meldet - bitte, lieber Gott, mach, dass nicht er es ist -, aber als die
Nachrichten weiterlaufen, sieht sie ein altes Foto von ihm, das über die
Aufnahmen vom Flughafen geblendet wird. Sie sieht ihn auf dem Bürgersteig
liegen.
Sie will schreien, doch es kommt kein Laut.
An normalen Tagen tummeln sich auf den vier Plätzen von Guadalajara die
Touristen. Man sieht verliebte Pärchen, Büroangestellte verbringen hier ihre
Mittagspause. An normalen Tagen ist die Kathedrale umgeben von Trödlern, die
Kreuze feilbieten,
Weitere Kostenlose Bücher