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Winslow, Don

Winslow, Don

Titel: Winslow, Don Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tage der Toten
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»Padre Rivera? «, fragt Keller. Rivera nickt.
    Ramos tätschelt ihm
den Rücken. »Kopf hoch, Padre. Sie haben richtig entschieden. Die Barreras
hätten Sie früher oder später ermordet.«
    Das zumindest will er ihn glauben machen. Auf Kellers Drängen hat er sich
an den Pfarrer gewandt. Hat ihn beim morgendlichen Joggen angesprochen und ihn
gefragt, ob er Frischluftfanatiker sei, ob er auch weiterhin frische Luft
atmen wolle. Dann hat er ihm Fotos von Rauls Folteropfern gezeigt und fröhlich hinzugefügt, genauso könne es ihm
ergehen, da er doch Pfarrer sei, und überhaupt.
    Die können sich gar nicht leisten, Sie leben zu lassen, hat er dem Padre
gesagt. Sie wissen zu viel. Sie elende, verlogene, kriecherische Spottgeburt
eines Priesters. Ich kann Sie retten, hat ihn Ramos beruhigt, als Rivera in Tränen
ausbrach. Aber es muss schnell gehen - heute Nacht -, und Sie müssen mir
vertrauen.
    »Er hat recht«, sagt Keller jetzt und nickt Ramos zu. Und wenn es
stimmt, dass Augen lächeln können, dann lächeln Ramos' Augen jetzt.
    »Adios, viejo«, sagt Ramos zu Keller. » Adiós, alter Freund.«
    Keller nimmt Rivera beim Handgelenk, führt ihn behutsam zu seinem Wagen. Der Padre lässt sich
führen wie ein Kind.
     
    Chalino Gusmán alias el Verde, patrón des Sonora-Kartells, betritt sein Lieblingsrestaurant in Ciudad Juarez, um zu
frühstücken. Jeden Morgen bekommt er hier seine huevos rancheros, und würde er
nicht diese auffälligen grünen Stiefel aus Eidechsleder tragen, könnte man ihn
für einen der Farmer halten, die der harten, sonnenverbrannten roten Erde ihren
Lebensunterhalt abzutrotzen versuchen.
    Aber die Kellner wissen es besser. Sie geleiten ihn zu seinem gewohnten
Tisch im Vorgarten, bringen ihm den Kaffee zusammen mit der Morgenzeitung. Und
füllen Thermoskannen mit heißem Kaffee für die Sicarios, die draußen in
ihren Autos warten.
    Drüben, direkt hinter der texanischen Grenze, liegt El Paso, Gusmáns Umschlagplatz
für Tonnen von Kokain, Marihuana und auch ein bisschen Heroin. Jetzt nimmt er
sich die Zeitung vor. Nicht dass er lesen kann, aber er tut gern so, außerdem
mag er die Bilder.
    Über den Zeitungsrand spähend verfolgt er, wie einer seiner Sicarios auf einen
schwarzen Ford Bronco zugeht, um ihn zu verscheuchen. El Verde ärgert sich ein bisschen - die
Einheimischen wissen, dass sie hier um diese Zeit nichts zu suchen haben. Das
muss ein Auswärtiger sein, denkt er, als der Sicario an die Seitenscheibe
des Bronco klopft.
    In diesem Moment geht die Bombe hoch und reißt el Verde in Stücke.
     
    Don Francisco Uzueta alias Garcia Abrego, patrón des Golf-Kartells
und der Federación, reitet auf seinem Palominohengst dem jährlichen Festumzug des Dorfes Coquimatlán voraus. Er
führt den Hengst im Paradeschritt, die Hufe klappern auf dem Kopfsteinpflaster
der engen Straße, und er selbst trägt seine prächtigste Cowboytracht, so wie
es dem patrón des Dorfes zukommt. Den juwelenbesetzten Sombrero schwenkend, nimmt er die
Jubelrufe der Bevölkerung entgegen.
    Und sie hat Grund zum Jubeln. Don Francisco hat eine Ambulanz gebaut, die
Schule, den Spielplatz. Sogar die Klimaanlage für die neue Polizeistation hat
er spendiert.
    Jetzt lächelt er huldvoll und sonnt sich in der Verehrung seiner
Untertanen. Den Lauf des M6o-Maschinengewehrs, der aus einem Dachfenster ragt,
sieht er nicht.
    Die erste Salve beseitigt das Lächeln - zusammen mit dem ganzen Gesicht.
Die zweite reißt ihm die Brust auf. Der Palomino scheut und wirft Abrego ab.
    Der tote Abrego liegt am Boden, seine Hand umklammert den Zügel.
    Der
dreiundzwanzigjährige Mechaniker Mario Aburto steht mitten in der Menschenmenge,
die sich in der Armensiedlung Lomas
Taurinas versammelt hat.
    Lomas Taurinas, eine Ansammlung
von zusammengenagelten Hütten, liegt am Rand des Flughafens von Tijuana in
einer schlammigen Senke, dahinter erheben sich die kahlen Berge. Wer in Lomas Taurinas nicht am Staub
erstickt, versinkt im Schlamm, der von den erodierten Hängen herabfließt und
manchmal auch die Hütten mitnimmt. Bis vor kurzem noch bedeutete fließendes Wasser für die
Bewohner, dass sie ihre Hütte über einem der vielen kleinen Rinnsale gebaut
hatten und so tatsächlich fließendes Wasser im Haus hatten, aber dann wurden
in der Siedlung Wasser- und Stromleitungen verlegt - eine Dankesgeste der
Regierungspartei. Doch nach wie vor ist der schlammige Untergrund eine Kloake,
eine langsam zerfließende Müllkippe.
    Luis Donaldo Colosio

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