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Winslow, Don

Winslow, Don

Titel: Winslow, Don Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tage der Toten
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ganze Küste
wird von der Regierung und den Privatmilizen der Ölfirmen bewacht, die um ihre
Förderanlagen fürchten.
    Vom Fischkutter ist er auf ein kleines Motorboot umgestiegen, bei Nacht
fahren sie in die Flussmündung ein, die Fackeln der Raffinerietürme lodern wie
Höllenfeuer und weisen ihnen den Weg durch schlammige und verschmutzte
Mündungsarme, die Luft ist stickig und verpestet. Vorsichtig bewegen sie sich
flussaufwärts, vorbei an den Stacheldrahtzäunen und Wachtürmen der
Raffinerien, immer auf der Hut vor den Patrouillen der Armee und der privaten
Wachdienste. Als irgendwann der Regenwald beginnt, setzt er die Reise im Jeep
fort, und zum ersten Mal sieht er die Felder mit den Pflanzen, die ihn reich
gemacht haben.
    Aber er sieht sie manchmal.
    Meistens sieht er tote Flächen. Chemikalien sind nicht wählerisch, sie
vergiften Coca-Pflanzen genauso wie Bohnen und Tomaten, wie Wasser und Luft. Adán läuft durch
Geisterdörfer, die aussehen wie bewohnt, nur dass kein Mensch zu sehen ist. Die
Bewohner sind vor den Entlaubungsmitteln geflohen, geflohen vor der Armee, vor
der FARC, vor dem Krieg.
    Andere Dörfer sind einfach abgebrannt. Verkohlte Flächen zeigen an, wo
einmal Hütten standen. »Die Armee«, erklärt ihm sein Begleiter. »Sie brennen
die Dörfer ab, die angeblich mit der FARC sympathisieren.«
    Und die FARC brennt Dörfer ab, die angeblich mit der Armee sympathisieren,
denkt Adán.
    Irgendwann erreichen sie Tirofios Dschungelcamp.
    Die Guerilleros tragen Tarnkleidung und Kalaschnikows, und es sind
überraschend viele Frauen unter ihnen. Adán sieht eine besonders aufreizende Amazone mit langem
schwarzem Haar, das unter ihrem Barett hervorweht. Seinem Staunen begegnet sie
mit einem so abschätzigen Was-guckst-du-Blick, dass er wegschauen muss.
    Überall herrscht Betriebsamkeit - ein Guerillatrupp trainiert, andere
reinigen Waffen, waschen Wäsche, kochen Essen, sorgen für Ordnung - ein großes,
übersichtlich angelegtes Camp, lange Reihen olivgrüner Zelte unter Tarnnetzen.
Gekocht wird unter Palmdächern. Adán sieht ein Lazarettzelt und ein Sanitätszelt, ein
anderes beherbergt eine ansehnliche Bibliothek. Das hier sind keine
hergelaufenen Banditen, denkt er, das ist eine bestens organisierte Truppe,
die ihr Territorium beherrscht. Die Tarnnetze sind das einzige Eingeständnis
ihrer Angst vor Angriffen.
    Adán folgt seinem
Begleiter zum Hauptquartier - die Zelte sind größer, unter aufgespannten
Vordächern stehen Waschtröge, Tische und Stühle aus roh behauenem Holz. Ein
älterer Mann tritt aus dem Zelteingang, klein, stämmig, mit olivgrüner
Tarnkleidung und schwarzem Barett - Tirofio.
    Er sieht aus wie ein Frosch, denkt Adán. Dicker, als bei einem Dschungelkämpfer zu erwarten,
mit schweren Tränensäcken, Hängebacken und einem breiten, mürrisch nach unten
gezogenen Mund. Seine hohen Wangenknochen sind spitz, seine Augen unter den
silbrigen Brauen schmale Schlitze. Trotzdem wirkt er jünger, als er ist. Er
geht mit festen und kräftigen Schritten auf Adán zu, mustert ihn
prüfend und zeigt auf ein Palmdach, unter dem Tisch und Stühle stehen. Mit
einer Geste lädt er Adán zum Sitzen ein und kommt ohne Umschweife zur Sache: »Ich weiß, dass Sie
Operation Red Cloud unterstützt haben.«
    »Das war nicht politisch«, sagt Adán. »Nur geschäftlich.«
    »Sie wissen, dass ich Sie als Geisel festhalten könnte«, sagt Tirofio.
»Oder auf der Stelle erschießen lassen.«
    »Und Sie wissen«, erwidert Adán, »dass Sie mich vielleicht eine Woche überleben
würden.« Tirofio nickt.
    »Also, was haben wir zu bereden?«, fragt Adán.
    Tirofio zieht eine Zigarette aus der Hemdtasche, bietet sie Adán an, schüttelt
den Kopf, als Adán ablehnt, und zündet sie an. Nachdem er einen tiefen Zug genommen hat,
fragt er: »Wann sind Sie geboren?«
    »1953.«

»1948 habe ich angefangen zu kämpfen«, sagt Tirofio. »In einer Zeit, die man
heute >la Violenca< nennt. Haben Sie davon gehört?«
    »Nein.«
    Tirofio nickt. »Ich war Holzfäller und wohnte in einem kleinen Dorf.
Damals war ich unpolitisch. Rechts oder links - den Bäumen, die ich fällen
musste, war das egal. Eines Morgens, ich war in den Bergen bei der Arbeit,
kamen die Soldaten ins Dorf, trieben alle Männer zusammen, fesselten ihnen die
Hände auf den Rücken und schnitten ihnen die Kehle durch. Ließen sie wie Schweine
auf dem Dorfplatz verbluten, während sie die Frauen und Töchter vergewaltigten.
Wissen Sie, warum sie das

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