Winslow, Don
faszinierend.
Nach endlosen Stunden über der Wasserwüste des Pazifik taucht es plötzlich
aus dem Nichts auf, ein smaragdgrünes Eiland mit Hochhäusern, die in der Sonne
glitzern, vor einer dramatischen Bergkulisse.
Er ist nie dort gewesen, sie schon mehrere Male. Das dort unten ist
Hongkong, erklärt sie ihm, mit dem Victoria Peak, da drüben liegt Kowloon und
der Hafen.
Sie mieten sich im Peninsula Hotel ein.
Es war ihre Idee, auf dem Festland zu bleiben, statt eins der modernen
Hotels auf der Insel zu buchen. Sie liebt den kolonialen Charme von Kowloon,
auch ihm wird es hier gefallen, denkt sie, außerdem ist das Viertel lebendiger,
besonders bei Nacht.
Sie hat richtig vermutet - die altmodische Eleganz des Hotels findet er
sehr ansprechend. Sie sitzen auf der Veranda und schauen auf den Hafen, die
Landungsbrücke der Fähre, lassen sich ein komplettes englisches Teegedeck
bringen und warten, dass die Suite bezugsfertig wird.
»Hier haben sich früher die Opiumbarone amüsiert«, erzählt sie ihm.
»Ist das wahr?«, fragt er. Von Geschichte hat er wenig Ahnung, nicht mal
die Geschichte des Drogenhandels kennt er.
»Aber ja. Wegen des Opiums haben sich die Engländer überhaupt nur in
Hongkong festgesetzt. Und zwar im Opiumkrieg.«
»Opiumkrieg?«
»Der war 1840«, erklärt sie
ihm. »Da haben die Engländer Krieg gegen China geführt, um den freien Handel
mit Opium zu erzwingen.«
»Das ist nicht dein Ernst!«
»Doch«, sagt Nora. »Teil des Friedensvertrags war die Öffnung des
chinesischen Marktes für die englischen Drogenhändler, und die britische Krone
verleibte sich Hongkong als Kolonie ein. Um das Opium sicher zu lagern. Die
britische Armee und Navy haben praktisch das Rauschgift bewacht.«
»Genau wie heute«, stellt Adán fest. »Und woher weißt du diese Sachen?«
»Ich lese eben«, sagt Nora. »Jedenfalls dachte ich mir, dass dich das hier
interessiert.«
Da hat sie recht. Er schlürft Darjeeling, bestreicht sein Biskuit mit
Schlagsahne und Konfitüre und fühlt sich als Wahrer einer großen Tradition.
Als sie ihre Suite betreten, sinkt er sofort aufs Bett.
»Du darfst jetzt nicht schlafen«, ermahnt sie ihn. »So kriegst du den
Jetlag nie in den Griff.«
»Ich bin aber todmüde.«
»Ich könnte dich wach halten.«
»Oh, ja?«
Oh, ja!
Danach, beim Duschen, erzählt sie ihm, dass sie den restlichen Tag für ihn
verplant hat, wenn er sich in ihre Hände begeben will.
»Hab ich das nicht eben schon getan?«, fragt er.
»Und hat es dir gefallen?«
»Das war ich, der da geschrien hat.«
»Jetzt kommt's aufs Timing an«, sagt sie, während er sich rasiert. »Also
beeil dich.« Er beeilt sich.
»Das gehört für mich zum Schönsten, was es gibt«, verheißt sie
geheimnisvoll. Sie besorgt Fährtickets, nach ein paar Minuten Wartzeit gehen
sie an Bord und suchen sich Plätze an der Backbordseite des feuerwehrroten
Schiffs, um während der Überfahrt den Blick auf Hongkong zu genießen. Rings um
sie herum ein Gewimmel von Fischerbooten, Sportbooten, Dschunken und
Hausbooten.
Bei der Landung schiebt sie ihn zum Ausgang.
»Warum die Eile?« fragt er.
»Du wirst schon sehen. Komm, schnell.«'Sie laufen los, die Garden Road
entlang bis zum Fuß des Victoria Peak, wo sie in die Seilbahn einsteigen und
den steilen Hang hinauffahren.
»Das ist ja wie im Vergnügungspark«, sagt Adán.
Kurz vor Sonnenuntergang erreichen sie die Aussichtsplattform. Genau das
wollte sie ihm zeigen. Während sie auf der Terrasse stehen, wird die Sonne
erst rosa, dann rot, dann versinkt sie im Dunkel. Und im selben Moment
erstrahlen die Lichter der Stadt wie Diamanten auf einem schwarzen
Seidenkissen.
»Das hab ich noch nie erlebt«, sagt Adán.
»Ich hab mir gedacht, dass es dir gefällt.«
Er dreht sich zu ihr um und gibt ihr einen Kuss.
»Ich liebe dich«, sagt er.
»Ich liebe dich auch.«
Am nächsten Nachmittag treffen sie die Chinesen.
Wie geplant, werden Nora und Adán von einem Patrouillenboot im Hafen abgeholt, das
in die Bucht hinausfährt, wo sie in eine wartende Dschunke umsteigen und die
lange Überfahrt nach Silver Mine Bay antreten, das auf der Ostseite von Lantau
Island liegt. Hier taucht ihre Dschunke in das Gewirr aus Tausenden anderen
Dschunken und Hausbooten ein, windet sich durch ein Labyrinth aus Stegen und
Booten, bis sie endlich an einem großen Hausboot festmacht. Der Bootsführer
legt die Planke aus, Adán und Nora balancieren hinüber.
Drei Männer sitzen an einem
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