Winslow, Don
zogen mit. Viele
ORDEN-Offiziere wurden in der berüchtigten »School of the Americas«
ausgebildet. Um FLMN-Guerillas, Bauern, Studenten und Pfarrer zur Strecke zu
bringen, benutzte die salvadorianische Armee Bell-Hubschrauber,
C47-Transportflugzeuge, Mi6-Gewehre und M6o-Maschinengewehre - alles aus US-Beständen.
Es starben viele Guerillas, aber auch Hunderte Schüler, Lehrer, Bauern,
Fabrikarbeiter und Geistliche.
Auch die Guerillas waren keine Engel, denkt Keller. Auch sie haben
gemordet, haben sich durch Entführungen finanziert. Aber ihre Taten verblassen
vor den Verbrechen der gut gerüsteten Armee und ihrer Doppelgängerorganisation
ORDEN.
Fünfundsiebzigtausend Tote, denkt Keller, als das Flugzeug in dem Land
niedergeht, das zu seinem eigenen Massengrab geworden ist. Eine Million
Flüchtlinge, eine weitere Million Obdachlose. Bei einer Bevölkerung von nur
fünfeinhalb Millionen.
Die Lobby des Sheraton strahlt vor Sauberkeit.
Gutgekleidete Gäste relaxen in der klimatisierten Lounge oder in der
kühlen, dunklen Bar. Hier wirkt alles gepflegt und adrett - man trägt luftiges
Leinen, weiße Kleider und Jacketts, passend zum Tropenklima.
Alles sehr nett hier, denkt Keller. Und so amerikanisch.
Überall sieht man Amerikaner. Trinken Bier an der Bar, schlürfen Cola im
Coffeeshop, und die meisten von ihnen sind Militärberater. Sie sind in Zivil,
bevorzugen aber einen unverkennbar militärischen Look - seitlich geschorene
Köpfe, Polohemden, Jeans und Tennisschuhe, auf Hochglanz polierte braune
Armeehalbschuhe.
Seit die Sandinisten in Nicaragua an der Macht sind, verwandelt sich das
nur um die Ecke gelegene El Salvador zunehmend in ein amerikanisches
Militärgetto. Angeblich sind die Amerikaner hier, um die salvadorianische Armee
in ihrem Krieg gegen die Guerilla zu beraten, aber sie sollen auch
sicherstellen, dass El Salvador nicht der nächste Dominostein wird, der in
Mittelamerika umkippt. Also haben wir hier amerikanische Soldaten, die die
Salvadorianer beraten, und amerikanische Soldaten, die die Contras beraten, und
dazu noch die Spione.
Die Typen von der Firma unterscheiden sich deutlich von den Militärs in
Freizeitkluft. Zum einen sind sie besser gekleidet - tragen Maßanzüge mit
offenen Hemden ohne Krawatte anstelle der Sportklamotten aus dem Army-Shop -,
ihre Frisuren sind gestylt, die Haare ein bisschen lang, ganz nach der neuesten
Latino-Mode, an den Füßen tragen sie teure Churchills und Bancrofts. Wenn man
einen Spion in Tenniskleidung sieht, denkt Keller, spielt er wirklich Tennis.
Es gibt also hier Militärs und Spione, dann die Botschaftstypen, die
entweder nichts von beidem oder beides sind. Sie setzen sich zusammen aus den
eigentlichen Diplomaten und Konsularbeamten, die sich um profane Dinge kümmern
- Visa, verlorene Pässe, Kinder von Althippies, die wegen Landstreicherei
und/oder Drogenmissbrauch verhaftet wurden. Dazu kommen die Kulturattaches,
die Sekretäre und Schreibkräfte, dann die Militärattaches, die genauso aussehen
wie die Militärberater, nur besser gekleidet sind, und schließlich die
Botschaftsangestellten, die nur zum Schein bei der Botschaft arbeiten, in
Wirklichkeit aber Spione sind. Sie hocken im Gebäude der Botschaft, hören die
Radiosender von Managua ab und sind bestens darauf trainiert, einen kubanischen
Akzent - oder besser noch, einen russischen Akzent zu identifizieren. Oder sie
»bearbeiten die Straße«, wie sie es nennen, treffen ihre Informanten an Orten
wie der Sheraton-Bar, um zu erschnüffeln, welcher Oberst eventuell den nächsten
Putsch vorbereitet - und ob das eine gute oder eine schlechte Sache ist.
Und neben den Militärs, den Spionen, den Botschaftsangehörigen und den
Botschaftsspionen gibt es noch die Geschäftsleute.
Kaffeehändler, Baumwollhändler, Zuckerhändler. Die Kaffeehändler sehen
aus, als würden sie hierher gehören. Was auch in Ordnung ist, denkt Keller.
Ihre Familien betreiben dieses Geschäft seit Generationen. Mit ihrer
Gelassenheit erwecken sie den Anschein, als wären sie die eigentlichen Herren
hier - die Bar gehört ihnen und den salvadorianischen Kaffeepflanzern, mit
denen sie auf der Terrasse lunchen. Die Baumwoll- und Zuckerhändler dagegen
sehen aus wie typische amerikanische Handelsreisende. Sie sind hier noch nicht
heimisch geworden und wirken ein wenig verunsichert ohne ihre gewohnten Krawatten.
Es gibt also eine Menge Amerikaner in San Salvador, dazu eine Menge
reiche Salvadorianer. Die weniger reichen
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