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Winslow, Don

Winslow, Don

Titel: Winslow, Don Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tage der Toten
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da - weil er aus
Guadalajara gekommen ist, um die Messe zu zelebrieren. Und ich bin
selbstsüchtig genug, mich darüber zu freuen, denkt er. Es stimmt, er ist ein
enorm beliebter Erzbischof - er geht auf die Menschen zu, teilt ihre Sorgen,
ihre Freuden, ihre Mahlzeiten. Die Mahlzeiten besonders, denkt er. Wohin er
auch kommt, und er kommt überallhin, kennt man seinen Appetit, und er kennt
ihre Scherze: »Stellt einen breiten Stuhl an den Kopf der Tafel, Erzbischof
Juan kommt zum Essen!«
    Er legt der vor ihm knienden Frau eine Hostie auf die Zunge.
    Da fängt der Boden unter ihm an zu hüpfen.
    Genau so fühlt es sich an. Wie ein Stoß von unten. Dann noch einer und
noch einer, bis sich alle Stöße zu einer Serie von Erschütterungen vereinen.
    Er spürt etwas Nasses auf dem Ärmel. Blickt nach unten und sieht den Wein
aus dem Kelch hüpfen, den der Messknabe neben ihm in der Hand hält. Er legt dem
Knaben den Arm um die Schulter.
    »Immer unter den Rundbögen lang«, sagt er, »und dann raus. Geht jetzt
alle, aber ganz ruhig.«
    Der Knabe steigt die Altarstufen hinab.
    Parada wartet. Er wird
hier stehen bleiben und warten, bis sich die Kirche geleert hat. Nur die Ruhe
bewahren, sagt er sich. Bist du ruhig, sind sie es auch. Wenn es zur Panik
kommt, treten sie sich gegenseitig tot.
    Also bleibt er und schaut umher.
    Die geschnitzten Tiere erwachen zum Leben.
    Sie rütteln und schütteln sich.
    Nicken hektisch mit den Köpfen, wie zur Bestätigung. Aber was bestätigen
sie?, fragt er sich. Draußen wackeln die zwei Türme.
    Sie sind aus Sandstein errichtet, wunderschön verziert von Künstlern
dieser Gegend. So viel Liebe wurde in die Ornamente hineingelegt, so viel
Sorgfalt. Aber sie stehen in der Stadt Guzmán, in der Provinz Jalisco. Der Name Jalisco geht auf die
taraskanischen Ureinwohner zurück und bedeutet »sandige Gegend«. Die Steine,
aus denen die Türme gebaut wurden, sind hart und eben, aber der Mörtel ist
bröcklig wie der Sand von Jalisco.
    Er widerstand dem Wind und dem Regen, auch der Zeit, aber einem Beben der
Stärke 7,8, das von einer
tektonischen Verschiebung in dreißig Kilometern Tiefe und nur fünfzehn Kilometern
Entfernung ausgeht, widersteht er nicht.
    Während also die Gemeinde geordnet die Kirche verlässt, beginnen die
Türme zu wackeln, und die losen Steine stürzen hinab auf die Urenkel der
Männer, die sie einst errichtet haben. Die Türme durchschlagen die
kachelverzierte Kuppel und begraben fünfundzwanzig Kirchgänger unter sich.
    Weil die Kirche an diesem Morgen gut besucht war.
    Aus Liebe zu Erzbischof Juan.
    Der vorm Altar steht, unversehrt, gebannt vor Schock und Entsetzen,
während die Menschen vor ihm von einer Wolke aus gelbem Staub verschluckt
werden.
    Die Hostie hält er noch in der Hand.
    Den Leib Christi.
     
    Nora wird aus den Trümmern geborgen.
    Ein Stahlträger hat ihr das Leben gerettet. Er fiel diagonal auf ein Stück
Mauer und hielt einen anderen Träger davon ab, sie zu zerquetschen. Hinterließ
einen kleinen Hohlraum und ein bisschen Luft unter dem Schutt des Hotel Regis,
so dass sie wenigstens atmen kann.
    Nicht, dass sie viel davon hat, denn die Luft besteht vor allem aus Staub.
    Sie würgt, sie hustet, sie sieht nichts, aber sie kann hören. Sind Minuten
vergangen oder Stunden? Sie weiß es nicht, und sie fragt sich, ob sie jetzt tot
ist. Ob sie in der Hölle gelandet ist, eingezwängt in ein enges, heißes,
dunkles Loch voller Staub. Ich bin tot, denkt sie, tot und begraben. Von
irgendwo kommen Schreie und Stöhnen, sie fragt sich, ob das nun immer so weitergeht.
Ob das die Ewigkeit ist. Die Hölle, in der eine Hure landet.
    Sie hat gerade so viel Platz, dass sie den Kopf auf die Arme legen kann.
Vielleicht kann ich so schlafen, denkt sie. Die Ewigkeit durchschlafen. Aber
sie hat Schmerzen, ihr linker Arm ist blutverklebt, dann fällt ihr der
zerborstene Spiegel ein, mit den Scherben, die auf sie niedergeprasselt sind.
Ich bin nicht tot, denkt sie, und betastet das feuchte Blut. Menschen, die
bluten, sind nicht tot.
    Ich bin nicht tot. Ich bin lebendig begraben.
    Dann kommt die Panik.
    Sie fängt an zu hecheln und weiß, dass sie zu viel Sauerstoff verbraucht,
aber sie kann es nicht ändern. Der Gedanke, lebend begraben zu sein - ihr fällt
diese alberne Geschichte von Poe ein, die sie aus der Schule kennt. Die
Kratzspuren unterm Sargdeckel ...
    Sie möchte schreien.
    Sinnlos, sagt sie sich, schade um die Luft. Dann schreit sie einfach

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