Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman
würde!«
»Vielleicht gibt es ja doch keinen Krieg. Chamberlain, der britische Premierminister, hat mit Hitler letztes Jahr wegen der Tschechoslowakei in letzter Sekunde ein Abkommen getroffen …«
»Er hat sich freigekauft.«
»Ja. Vielleicht macht er es genauso, wenn es um Polen geht, auch wenn die Zeit knapp wird.«
»Vielleicht.« Greg nickte düster und wechselte das Thema. »Wohin willst du?«
»Zu Joanne Rouzrokh. Sie gibt eine Party.«
»Ja, ich hab davon gehört, ich kenne eine ihrer Zimmernachbarinnen. Ich bin aber nicht eingeladen, weil … Mann, das gibt’s doch nicht!« Greg verstummte mitten im Satz und riss die Augen auf. Als Woody seinem Blick folgte, sah er eine hübsche Schwarze, die aus Richtung E Street auf sie zukam. Sie war ungefähr in ihremAlter und trug ein schlichtes schwarzes Kleid, das wie das Outfit einer Kellnerin wirkte, aber dank ihres hübschen Huts und der modischen Schuhe sah sie unglaublich schick darin aus.
Sie bemerkte die beiden jungen Männer, sah Gregs Blick und schaute weg.
»Jacky?«, fragte Greg. »Jacky Jakes?«
Die junge Frau beachtete ihn nicht, wirkte aber irgendwie betroffen.
»Jacky, ich bin’s, Greg Peshkov.«
Jacky – falls sie es war – antwortete nicht, doch sie sah aus, als würde sie jeden Moment in Tränen ausbrechen.
»He, Jacky! Du kennst mich doch!« Greg stand mitten auf dem Bürgersteig, die Arme in einer flehentlichen Geste ausgestreckt.
Woody staunte. Was hier geschah, passte gar nicht zu Greg. Die Mädchen hatten ihm stets aus der Hand gefressen, schon auf der Schule und später in Harvard. Jetzt wirkte er verstört, verletzt, beinahe verzweifelt.
Das Mädchen ging an ihm vorbei, ohne ein Wort zu sagen oder seinem Blick zu begegnen.
Greg drehte sich zu ihr um. »Jetzt warte doch mal!«, rief er ihr nach. »Vor vier Jahren bist du einfach abgehauen! Du schuldest mir wenigstens eine Erklärung!«
Vor vier Jahren? Woody stutzte. Konnte diese Jacky das Mädchen sein, das in den Skandal verwickelt gewesen war? Die Sache hatte sich hier in Washington zugetragen. Zweifellos wohnte sie hier.
Greg rannte Jacky hinterher. Ein Taxi hatte an der Ecke gehalten. Der Fahrgast, der ausgestiegen war, stand am Bordstein und bezahlte den Fahrer. Jacky sprang ins Taxi und knallte die Tür zu.
»Rede mit mir, verdammt noch mal!«, rief Greg.
Das Taxi fuhr los. Greg starrte ihm hilflos hinterher. Dann kam er langsam zu Woody zurück, der die Szene gebannt beobachtet hatte.
»Ich verstehe das nicht«, murmelte Greg.
»Das Mädchen wirkte verängstigt«, sagte Woody.
»Meinst du? Aber ich habe ihr nie ein Leid getan. Ich war verrückt nach ihr!«
»Vor etwas hat sie sich gefürchtet.«
Greg gewann allmählich die Fassung wieder. »Tut mir leid. Ist sowieso nicht dein Problem.« Er wies auf einen Wohnblock in der Nähe. »Da wohnt Joanne. Viel Spaß.«
Er wandte sich ab und verschwand im Lokal. Es war offensichtlich, dass er seine Ruhe haben wollte.
Ein wenig verwirrt machte Woody sich auf den Weg.
Das Apartmenthaus war bescheiden; es gab keinen Türsteher oder Portier. Ein Schild mit den Namen der Hausbewohner, das im Eingangsflur hing, verriet ihm, dass Rouzrokh die Wohnung mit Stewart und Fisher teilte, zwei anderen Mädchen, vermutete Woody. Er fuhr im Aufzug hinauf. Jetzt erst wurde ihm bewusst, dass er mit leeren Händen kam. Er hätte Pralinen oder Blumen mitbringen sollen. Er überlegte, ob er rasch noch etwas kaufen sollte, sagte sich dann aber, dass man es mit den guten Manieren auch übertreiben konnte.
Er drückte die Türklingel.
Eine junge Frau Anfang zwanzig öffnete.
»Hallo«, sagte Woody, »ich bin …«
»Komm rein«, unterbrach ihn das Mädchen, ohne abzuwarten, bis er sich vorgestellt hatte. »Zu trinken gibt’s in der Küche, und im Wohnzimmer steht was zu essen auf dem Tisch – falls noch was übrig ist.« Sie wandte sich ab. Offensichtlich war sie der Meinung, ihn ausreichend begrüßt zu haben.
In der kleinen Wohnung drängten sich die Partygäste. Sie tranken, rauchten und unterhielten sich lautstark, um das Grammofon zu übertönen. »Ein paar Freunde«, hatte Joanne gesagt. Für Woody bedeutete das fünf, sechs junge Leute, die an einem Couchtisch zusammensaßen und über die europäische Krise diskutierten. Er war enttäuscht: Diese Massenfete würde ihm nur wenig Gelegenheit geben, Joanne zu beweisen, wie erwachsen er geworden war.
Er sah sich nach ihr um. Da er größer war als die meisten Gäste, konnte er
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