Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman
Antwort.
Macke drehte den Strom voll auf.
Peter schrie noch lange, bis er für immer verstummte.
Die Villa der Familie Franck lag in einem kleinen Park. Zweihundert Meter vom Haus entfernt, an einem flachen Hang, stand eine kleine Pagode. Sie war auf allen Seiten offen, und im Inneren standen Bänke. Als Kinder hatten Carla und Frieda immer so getan, als wäre die Pagode ihr Landhaus, und hatten stundenlang darin gespielt. In ihrer Fantasie hatten sie wundervolle Partys veranstaltet, bei denen Dutzende von Dienern ihre glamourösen Gäste bedient hatten. Später wurde die Pagode zu ihrem Lieblingsplatz, an dem sie saßen und miteinander redeten, ohne dass jemand sie hören konnte.
»Als ich das erste Mal auf dieser Bank saß, haben meine Füße nicht bis auf den Boden gereicht«, sagte Carla.
Frieda seufzte. »Ich wünschte, es wäre wieder so wie früher.«
Es war ein schwüler Nachmittag, wolkenverhangen und feucht, und die beiden jungen Frauen trugen ärmellose Kleider. Sie warenin düsterer Stimmung. Pater Peter war tot. Laut Polizeibericht hatte er in der Haft Selbstmord begangen, nachdem ihm seine Verbrechen bewusst geworden waren.
Carla fragte sich, ob der Pater genauso brutal misshandelt worden war wie ihr Vater. Leider war das nur allzu wahrscheinlich.
Überall in Deutschland waren Dutzende weiterer Menschen in Polizeigewahrsam. Einige hatten öffentlich gegen die Ermordung Behinderter protestiert; andere hatten nur Kopien von Bischof von Galens Predigt verteilt. Ob sie auch gefoltert wurden, fragte sich Carla. Und wie lange würde sie selbst diesem Schicksal noch entgehen?
Werner trat mit einem Tablett aus dem Haus und kam über den Rasen zur Pagode. Gut gelaunt fragte er: »Wie wär’s mit einem Glas Limonade, meine Damen?«
Carla wandte sich ab. »Nein, danke«, sagte sie kalt. Wie konnte Werner immer noch glauben, ihr Freund zu sein, wo seine Feigheit so offensichtlich gewesen war?
»Für mich auch nicht«, lehnte Frieda ebenfalls ab.
»Ich hoffe, ihr seid nicht sauer auf mich«, sagte Werner und schaute zu Carla.
Dieser Dummkopf, dachte Carla verächtlich. Natürlich waren sie sauer auf ihn.
»Pater Peter ist tot, Werner«, sagte Frieda.
Carla fügte hinzu: »Vermutlich hat die Gestapo ihn zu Tode gefoltert, weil er sich geweigert hat, die Ermordung deines Bruders zu akzeptieren. Mein Vater ist aus demselben Grund gestorben, und viele weitere Menschen sitzen deshalb im Gefängnis oder in einem Lager. Aber du hast deinen tollen Schreibtischposten behalten, also ist ja alles in Ordnung.«
Zu Carlas Erstaunen wirkte Werner verletzt. Sie hatte mit Trotz gerechnet, zumindest mit dem Versuch, sich unbekümmert zu geben. Aber Werner schien ehrlich betroffen zu sein. »Glaubst du denn nicht, dass man auch auf andere Weise etwas gegen die Nazis unternehmen kann?«, fragte er.
Das war eine schwache Entschuldigung. »Vielleicht«, antwortete Carla. »Aber du hast gar nichts getan.«
»Ja, mag sein«, erwiderte Werner. »Dann wollt ihr also keine Limonade?«
Weder Carla noch Frieda antworteten ihm, und er ging zurück ins Haus.
Carla war wütend und traurig. Sie war auf dem besten Weg gewesen, eine Romanze mit Werner anzufangen, bis sie erkannt hatte, dass er ein Feigling war. Sie hatte ihn sehr gemocht, viel mehr als jeden anderen Jungen, den sie je geküsst hatte. Es hatte ihr zwar nicht das Herz gebrochen, aber sie war unsagbar enttäuscht, sich so sehr in Werner getäuscht zu haben.
Frieda hat mehr Glück, ging es Carla durch den Kopf, als sie Heinrich sah, der über den Rasen zu ihnen kam. Frieda war glamourös und lebenslustig, Heinrich zurückhaltend und in sich gekehrt; dennoch passten sie zusammen.
»Liebst du ihn?«, fragte Carla, als Heinrich noch außer Hörweite war.
»Ich weiß es noch nicht«, antwortete Frieda und lächelte. »Aber er ist unheimlich nett.«
Heinrich war sichtlich aufgeregt. »Ich habe großartige Neuigkeiten«, sagte er. »Mein Vater hat es mir nach dem Mittagessen gesagt.«
»Was denn?«, fragte Frieda gespannt.
»Die Regierung hat die Aktion T4 eingestellt.«
»Was sagst du da?«, stieß Carla hervor.
Heinrich nickte. »Mein Vater kann es selbst kaum fassen. Er sagt, der Führer habe noch nie dem Druck der öffentlichen Meinung nachgegeben.«
»Und wir haben ihn dazu gezwungen!«, rief Frieda.
»Gott sei Dank weiß das keiner«, sagte Heinrich.
»Sie werden die Krankenhäuser einfach schließen und das Programm einstellen?«, hakte Carla ungläubig
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