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Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Titel: Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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es nur noch schlechte Nachrichten.
    Der Bericht, den SowInform an diesem Morgen über Radio und Lautsprecher in den Straßen verbreitete, war ungewohnt ehrlich. »In der Nacht vom 14. auf den 15. Oktober hat sich die Lage an der Westfront weiter verschlechtert«, hieß es da. »Eine große Zahl deutscher Panzer hat unsere Verteidigungsstellungen durchbrochen.« Und jeder wusste, dass die Propaganda die Wahrheit immer zurechtbog; also war die tatsächliche Lage vermutlich noch viel schlimmer.
    Das Stadtzentrum war von Flüchtlingen verstopft. Sie kamen aus dem Westen, hatten ihre Habseligkeiten auf Karren geladen und trieben ausgemergelte Kühe, verdreckte Schweine und nasse Schafe vor sich hier. Sie wollten nach Osten, möglichst weit weg von den vorrückenden Deutschen.
    Wolodja versuchte, eine Mitfahrgelegenheit zu bekommen, doch es gab kaum noch zivilen Verkehr. Der Treibstoff war rationiert und ging vorwiegend an die endlosen Militärkonvois, die über den Gartenring fuhren, die große Ringstraße im Zentrum Moskaus. Doch Wolodja hatte Glück und wurde von einem GAZ -64-Jeep mitgenommen.
    Unterwegs sah er die Bombenschäden am Straßenrand. Diplomaten, die gerade aus England kamen, erklärten zwar, das sei nichts im Vergleich zum »London Blitz«, aber den Moskowitern reichte es. Wolodja kam an mehreren zerstörten Gebäuden und Dutzenden ausgebrannter Holzhäuser vorbei.
    Als Verantwortlicher für die Luftverteidigung Moskaus hatte Grigori Luftabwehrbatterien auf den höchsten Gebäuden aufstellen lassen, und Sperrballons schwebten dicht unterhalb der Schneewolken. Grigoris bizarrster Befehl war jedoch gewesen, die goldenen Kuppeln der orthodoxen Kathedralen in Tarnfarbe streichen zu lassen. Wolodja gegenüber hatte er zugegeben, dass diese Maßnahme keinerlei Auswirkungen auf die Zielgenauigkeit der deutschen Bomber haben würde, aber es vermittele den Bürgern das Gefühl, es werde etwas für ihre Sicherheit getan.
    Sollten die Deutschen siegen und die Nazis über Moskau herrschen, würden Wolodjas Neffe und Nichte, die Zwillinge seiner Schwester, nicht zu patriotischen Kommunisten, sondern zu sklavisch ergebenen Nazis erzogen werden und den Hitler-Gruß machen. Russland würde wie Frankreich enden: ein Land in Knechtschaft, vielleicht teilweise von einer profaschistischen Marionettenregierung geführt, die Juden zusammentreiben ließ, um sie in die Konzentrationslager zu verfrachten. Allein die Vorstellung war unerträglich. Wolodja wünschte sich eine Zukunft, in der die Sowjetunion sich von Stalins Tyrannei und dem Terror der Geheimpolizei befreite, um endlich mit dem Aufbau des wahren Kommunismus zu beginnen.
    Als er das Hauptquartier der GRU erreichte, war die Luft voller grauer Flocken – Asche, kein Schnee. Die GRU verbrannte ihre Akten, damit sie nicht dem Feind in die Hände fallen konnten.
    Kurz nach seiner Ankunft kam Oberst Lemitow in Wolodjas Büro. »Sie haben ein Memo nach London geschickt wegen eines deutschen Physikers mit Namen Wilhelm Frunze«, sagte Lemitow. »Das war sehr weitsichtig von Ihnen. Offenbar hat sich da eine gute Spur ergeben. Gut gemacht.«
    Was zählt das jetzt noch?, dachte Wolodja. Die deutschen Panzerspitzen waren nur noch hundert Kilometer von hier entfernt. Spione konnten jetzt auch nicht mehr helfen. »Frunze, ja. Er war mit mir in Berlin auf der Schule.«
    »London hat Kontakt zu ihm aufgenommen. Er ist bereit zu reden. Sie haben sich an einem sicheren Ort getroffen.« Während Lemitow sprach, spielte er an seiner Armbanduhr herum. Das war ungewöhnlich für ihn. Er war sichtlich angespannt – wie alle im Moment.
    Wolodja schwieg. Offensichtlich hatte dieses Treffen eine wichtige Information erbracht; sonst würde Lemitow nicht darüber reden.
    »London sagt, Frunze sei zunächst misstrauisch gewesen und habe unseren Mann verdächtigt, zum britischen Geheimdienst zu gehören«, berichtete Lemitow mit einem Lächeln. »Nach dem Treffen ist er sogar zu unserer Botschaft gegangen und hat eine Bestätigung verlangt, dass unser Mann echt war!«
    Wolodja lächelte ebenfalls. »Ein Amateur.«
    »Genau«, sagte Lemitow. »Jemand, der nur Desinformationen verbreiten will, würde nie so etwas Dummes tun.«
    Die Sowjetunion war noch nicht am Ende – noch nicht ganz jedenfalls –, deshalb musste Wolodja weitermachen, als wäre Frunze tatsächlich von Bedeutung. »Was hat er gesagt, Genosse Oberst?«
    »Dass er und seine Kollegen gemeinsam mit den Amerikanern an einer

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