Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman
hatte, hinkten sie dem Westen zwar weit hinterher, erhielten zum Ausgleich jedoch unschätzbare Hilfe von kommunistischen Spionen in England und Amerika. Zu ihnen gehörte auch Wolodjas alter Schulfreund Willi Frunze.
Zoja kam wieder ins Bett. »Als wir uns kennengelernt haben«, sagte Wolodja, »hast du mich nicht sehr gemocht, stimmt’s?«
»Ich mag Männer generell nicht«, erwiderte sie. »Die meisten sind Säufer, Tyrannen und Trottel. Du bist anders. Ich habe nur eine Weile gebraucht, um das festzustellen.«
»Herzlichen Dank«, sagte er. »Sind Männer wirklich so schlimm?«
»Sieh dich doch um. Schau dir unser Land an.«
Wolodja griff über Zoja hinweg und schaltete das Radio auf dem Nachttisch ein. Auch wenn er das Mikrofon hinter dem Kopfende des Bettes lahmgelegt hatte – man konnte nie vorsichtig genug sein. Als das Radio warmgelaufen war, erfüllten Marschklänge das Hotelzimmer. Jetzt, wo sie auf keinen Fall mehr belauscht werden konnten, sagte Wolodja: »Du denkst an Stalin und Beria, nicht wahr? Aber sie werden nicht immer da sein.«
»Weißt du, wie mein Vater gestorben ist?«, fragte Zoja.
»Nein. Meine Eltern haben nie davon gesprochen.«
»Dafür gibt es einen Grund.«
»Welchen?«
»Meine Mutter hat mir mal erzählt, dass in der Fabrik meines Vaters eine Wahl für einen Deputierten in den Moskauer Sowjet stattgefunden hat. Ein menschewikischer Kandidat trat gegen den Bolschewiken an. Mein Vater ging zu einer Versammlung, auf der der Menschewik gesprochen hat. Er hat ihn weder unterstützt noch gewählt, aber jeder, der die Versammlung besucht hatte, wurde entlassen. Ein paar Wochen später wurde mein Vater verhaftet und in die Lubjanka geschafft.«
Die Lubjanka war das Hauptquartier und Gefängnis des NKWD am Lubjanka-Platz.
»Meine Mutter ist zu deinem Vater gegangen und hat ihn um Hilfe gebeten«, fuhr Zoja fort. »Die beiden sind sofort zur Lubjanka gefahren, aber sie kamen zu spät. Mein Vater war bereits liquidiert worden.«
»Das ist furchtbar«, sagte Wolodja. »Aber es liegt an Stalin …«
»Nein. Das war 1920. Stalin war damals nur ein kleiner Politkommissar der Roten Armee im Krieg gegen Polen. Lenin war dafür verantwortlich. Du siehst, es liegt nicht nur an Stalin und Beria.«
»Aber …« Wolodja verstummte, als die Tür sich öffnete, und griff nach seiner Pistole, die auf dem Nachttisch lag.
Eine junge Frau kam ins Zimmer. Sie trug nur einen Pelzmantel. Unter dem Mantel war sie nackt.
»Oh, tut mir leid, Wolodja«, sagte sie. »Ich wusste nicht, dass du Gesellschaft hast.«
»Wer ist das?«, fragte Zoja.
Wolodja schien sie gar nicht zu hören. »Wie hast du die Tür aufbekommen, Natascha?«, fragte er.
»Du hast mir einen Generalschlüssel gegeben, schon vergessen? Er passt auf jede Tür im ganzen Hotel.«
»Du hättest wenigstens klopfen können!«
»Tut mir leid. Ich bin auch nur gekommen, um dir die schlechten Neuigkeiten mitzuteilen.«
»Welche?«
»Ich war bei Woody Dewar, hatte aber keinen Erfolg.«
»Was hast du denn gemacht?«
»Das.« Natascha öffnete den Mantel und zeigte ihren nackten Körper. Sie hatte eine üppige Figur und dichtes dunkles Schamhaar.
»Schon gut, ich hab verstanden. Mach den Mantel zu«, sagte Wolodja. »Was hat Dewar gesagt?«
Natascha wechselte ins Englische. »Er sagte nur: ›Nein.‹ Ich fragte: ›Was soll das heißen, nein?‹ Er sagte: ›Das Gegenteil von ja.‹ Dann hielt er mir die Tür auf und wartete, bis ich draußen war.«
»So ein Mist«, schimpfte Wolodja. »Dann muss ich mir etwas anderes einfallen lassen.«
Chuck Dewar wusste, dass Schwierigkeiten drohten, als Captain Vandermeier am frühen Nachmittag in sein Büro kam, das Gesicht rot von einem Mittagessen mit viel Bier.
Die nachrichtendienstliche Einheit in Pearl Harbor war gewachsen. Hatte sie zuvor schlicht »Station HYPO « geheißen, führte sie nun den klangvollen Titel »Joint Intelligence Center, Pacific Ocean Area«, kurz JICPOA .
Captain Vandermeier hatte einen Sergeant der Marineinfanterie im Schlepptau. »He, ihr beiden Schminktäschchen«, sagte der Captain. »Wir haben hier eine Kundenbeschwerde.«
Mit der Ausweitung der Abteilung hatten sich deren Mitglieder auf verschiedene Fachgebiete spezialisiert. Chuck und Eddie waren zu Experten für die Kartierung von Küstenstreifen geworden, auf denen die amerikanischen Verbände landen sollten, während sie sich Insel um Insel durch den Pazifik vorankämpften.
Vandermeier sagte: »Das
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