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Winter der Zärtlichkeit

Winter der Zärtlichkeit

Titel: Winter der Zärtlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Miller
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Krankenbett hatte er an dem Scheit geschnitzt, den Doss ihm aus dem Feuerholz ausgesucht hatte.
    „Ich glaube, nächstes Jahr mache ich ihnen einen Bären“, verkündete er. Kein Wort darüber, ihren Eltern etwas zu schnitzen, wie Hannah feststellte. Dabei hatten sie ihm im Dezember ein Fahrrad und eine Spielzeugfeuerspritze geschickt. Die McKettricks hingegen mussten ihm natürlich am Weihnachtstag ein geflecktes Pony liefern lassen, mit nagelneuem Sattel und Zaumzeug. Obwohl Tobias seinen Großeltern in Montana pflichtbewusst geschrieben hatte, um sich für die Geschenke zu bedanken, hatte er nicht ein einziges Mal mit der Feuerspritze gespielt. Sie landete lediglich im Regal in seinem Zimmer, wo er sie umgehend vergaß. Das Fahrrad nutzte vor dem Frühling nicht viel, das war richtig. Aber er zeigte auch überhaupt kein Interesse mehr daran, seit das Pony angekommen war.
    „Wasch dir die Hände vor dem Essen, Tobias McKettrick“, forderte Hannah ihn auf.
    „Das Essen ist noch gar nicht fertig“, protestierte er.
    „Hör auf deine Mutter“, ermahnte Doss ihn ruhig.
    Dass er augenblicklich folgte, hätte Hannah freuen sollen, tat es aber nicht.
    In der Zwischenzeit öffnete Doss die Satteltaschen und nahm die übliche Auswahl an Briefen, Magazinen und kleinen Paketen heraus, die Hannah bereits durchgesehen hatte, bevor der Postwagen um die Kurve verschwunden war. Sie war gleichermaßen enttäuscht und erleichtert gewesen, dass ihr Name nirgendwo zu lesen war. Einmal, Ende Oktober, als die feuerroten Blätter der Eichenbäume sich auf den Boden ergossen wie die Falten ausrangierter Kleider, hatte sie einen Brief von Gabe bekommen. Da war er schon vier Monate tot gewesen, und ihr Herz hatte vor Schreck fast ausgesetzt, als sie seine Handschrift auf dem Briefumschlag erkannte.
    Einen kurzen verwirrenden Moment lang glaubte sie, dass alles nur ein Missverständnis gewesen war. Dass nicht Gabe, sondern irgendein Fremder an der Grippe gestorben war. Solche Verwechslungen kamen in Kriegszeiten schon mal vor, zumal sie die Leiche in dem zugenagelten Sarg nie gesehen hatte.
    Mit dem Brief in der Hand stand sie weinend und zitternd an der Straße. Es verging über eine Viertelstunde, bevor sie in der Lage war, das Siegel zu brechen und den dicken Packen Pergamentpapier herauszunehmen. Zu diesem Zeitpunkt war sie wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgekehrt, doch als sie das Datum auf der ersten Seite sah, schrie sie laut auf: 17. März 1918.
    Gabe war noch gesund gewesen, als er den Brief geschrieben hatte. Er freue sich auf zu Hause, schrieb er, dass es an der Zeit sei, die Familie zu vergrößern und wieder eine Rinderzucht auf ihrem Teil von Triple M aufzubauen.
    Hannah fiel auf dem schmutzigen Boden auf die Knie, zu verzweifelt, um wieder aufzustehen. Das Maultier trottete allein nach Hause. Kurz darauf tauchte Doss auf. Noch immer presste sie die Seiten an ihre Brust, ihre Kehle schmerzte so sehr, dass sie kein Wort hervorbrachte.
    Ohne ein Wort zu sagen, hatte Doss sie hochgehoben, auf sein Pferd gesetzt und war mit ihr nach Hause geritten.
    „Hannah?“
    Blinzelnd kehrte sie in die Realität zurück, betrachtete den Teig und das Päckchen mit den Würsten in ihrer Hand.
    Doss stand neben ihr. Er roch nach Schnee und Kiefernholz und Mann. Er berührte ihren Arm.
    „Geht es dir gut?“, fragte er.
    Sie nickte.
    Natürlich war das gelogen. Hannah war es nicht einen Tag gut gegangen, seit Gabe in den Krieg gezogen war. Wahrscheinlich würde es ihr nie wieder gut gehen.
    „Du setzt dich jetzt hin“, befahl Doss. „Ich werde das Essen machen.“
    Da sie keine Kraft mehr in den Beinen spürte, gehorchte sie und sah sich überrascht um. „Wo ist Tobias?“
    Doss wusch sich die Hände, öffnete das Wurstpaket und gab den Inhalt in die riesige gusseiserne Bratpfanne, die schon auf dem Herd stand. „Oben“, antwortete er.
    Tobias hatte einfach so den Raum verlassen, ohne dass sie es gemerkt hatte?
    „Oh“, seufzte sie entnervt. War sie dabei, den Verstand zu verlieren? Trieb die Trauer sie nicht nur in gelegentliche Geistesabwesenheit, sondern über die Grenzen der Zurechnungsfähigkeit hinaus?
    Sie dachte an den mysteriösen Ortswechsel der Teekanne ihrer Schwiegermutter.
    Geschickt rollte Doss den Teig aus und stach mit der Kante eines Glases Kreise aus. Lorelei McKettrick hatte ihren Söhnen beigebracht, wie man kochte, Knöpfe annähte und jeden Morgen das Bett machte. Das zumindest musste man ihr hoch

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