Winter der Zärtlichkeit
anrechnen, und eine ganze Menge mehr.
Im nächsten Moment reichte er ihr einen Becher Kaffee. Instinktiv wollte er seine Hand auf ihre Schulter legen, besann sich aber eines Besseren und zog sie wieder zurück. „Ich weiß, es ist schwer“, sagte er.
Hannah konnte ihn nicht ansehen. Sie wollte nicht, dass er die Tränen in ihren Augen sah, vermutete aber, dass er es auch so wusste. „Es gibt Tage, da weiß ich einfach nicht, wie es weitergehen soll. Aber es muss weitergehen, schon wegen Tobias“, flüsterte sie.
Doss ging neben Hannah in die Knie, nahm ihre Hände und sah ihr ins Gesicht.
„Ich habe mir bestimmt tausend Mal gewünscht, dass ich in diesem Grab oben auf dem Hügel liege und nicht Gabe. Ich würde alles dafür geben, an seiner Stelle zu sein, damit er hier bei dir und dem Jungen sein könnte.“
Der Schmerz fuhr in Hannahs Herz wie ein erbarmungslos geführtes Schwert. „So etwas darfst du nicht einmal denken“, stieß sie hervor, nachdem sie wieder Luft bekam. Sie zog ihre Hände weg, legte sie ganz kurz an sein ernstes, hübsches Gesicht und riss sie dann schnell wieder zurück. „Das darfst du nicht, Doss. Es ist nicht richtig.“
In diesem Moment polterte Tobias die Treppe hinunter.
Mit gerötetem Gesicht sprang Doss auf.
Hannah drehte sich weg und gab vor, sich für die Post zu interessieren. Doch das meiste war ohnehin für Holt und Lorelei und würde nach San Antonio weitergeleitet werden.
„Was ist los, Ma?“, fragte Tobias, besorgt über die unbehagliche Stille. „Geht es dir nicht gut?“
Offensichtlich hatte der Junge doch noch gesehen, wie Doss neben ihr kniete.
„Mir geht es gut“, sagte sie munter. „Ich habe mir nur vorhin vom Feuerholz einen Splitter zugezogen. Doss hat ihn herausgezogen.“
Tobias schaute von ihr zu seinem Onkel und wieder zurück.
„Kochst du darum das Essen?“, wandte er sich an Doss.
Wie Gabe war Doss dazu erzogen, jede Art von Lügen zu verabscheuen, selbst harmlose, die einen Jungen beruhigen würden, der seinen Vater verloren hatte und nun im tiefsten Innern befürchtete, seiner Mutter könnte ebenfalls was Schlimmes passieren.
„Ich koche unser Essen“, erklärte er tonlos, „weil ich es kann.“
Hannah schloss kurz die Augen und öffnete sie wieder.
„Kannst du bitte den Tisch decken?“, bat Doss Tobias.
Hastig nahm Tobias Teller und Besteck aus dem Geschirrschrank.
In dem dämmrig beleuchteten Raum trafen sich Hannahs und Doss’ Blicke.
In ihrem Blick lag eine gewisse Anklage, so wie vorhin, als sie gesehen hatte, wie Tobias in der eisigen Kälte eines Hochlandwinters ein Schneefort baute.
„Es ist verdammt dunkel in diesem Haus“, fluchte Doss, ging in die Mitte des Raums und zog an der Schnur des Deckenleuchters. Die Glühbirne leuchtete so hell, dass Hannah blinzeln musste. Aber sie protestierte nicht.
Irgendetwas in Doss’ Gesicht hielt sie davon ab.
Heute
Travis hatte längst seinen Kaffee getrunken und das Haus wieder verlassen, als Liam mit zerrauftem Haar und geschwollenen Augen die Treppe herunterkam.
„Dieser Junge war wieder in meinem Zimmer“, sagte er. „Er saß am Schreibtisch und hat einen Brief geschrieben. Kann ich fernsehen? Da steht ein tolles HDTV-Gerät in dem Zimmer neben der Eingangstür. Und ein Computer mit großem Flachbildschirm. “
Auch Sierra kannte die noble elektronische Ausstattung, da sie eine Runde durchs Haus gedreht hatte, nachdem Travis gegangen war. „Du darfst eine Stunde fernsehen. Aber Hände weg vom Computer, der gehört nicht uns.“
Liams Schultern sackten ein wenig herab. „Ich weiß, wie man einen Computer bedient, Mo m “, protestierte er. „Wir haben das in der Schule gelernt.“
Neben den Ausgaben für Miete, Essen und Arztrechnungen hatte Sierra kein weiteres Geld zusammenkratzen können, um einen PC zu kaufen. Sie selbst hatte den im Büro der Bar in Florida benutzt, in der sie gearbeitet hatte. So hatte Meg auch Kontakt mit ihr aufnehmen können.
„Wir kaufen uns einen“, versprach sie. „Sobald ich einen Job habe.“
„Meine Mailbox ist wahrscheinlich schon voll“, verkündete Liam beunruhigt. „All die Kinder aus dem Freak-Programm wollen mir schreiben.“
Dieser Ausdruck versetzte Sierra, die gerade eine Packung tiefgefrorener Erbsen zum Auftauen in die Mikrowelle legte, einen kleinen Stich. „Sag bitte nicht Freak-Programm.“
Darauf zuckte Liam nur mit den Schultern. „Alle tun das.“ „Geh fernsehen.“
Er ging.
Als es
Weitere Kostenlose Bücher