Winter der Zärtlichkeit
Bett.
Vorsichtig roch Hannah an der Whiskeymischung, probierte einen kleinen Schluck und war überrascht, wie gut sie schmeckte. „Wo ist deiner?“, fragte sie.
„Ich bin es nicht, der sich vor heute Nacht fürchtet“, entgegnete er.
Ihre Hände zitterten. Sie setzte den Becher ab, bat Doss, ihr zu folgen, und stürmte ins angrenzende Zimmer.
„Was soll das heißen, heute Nacht?“, wisperte sie, obwohl sie die Antwort natürlich kannte.
Seelenruhig schloss Doss die Tür, musterte das Bett aus einiger Entfernung, dann ging er hinüber und drückte ein paarmal fest auf die Matratze.
Wieder loderte Hannahs Wut auf, doch diesmal war sie sprachlos.
„Gut zu wissen, dass das Bett nicht quietscht“, verkündete Doss.
Endlich hatte sie ihre Stimme wiedergefunden. „Doss McKettrick ..."
Sein Blick wanderte einmal von oben nach unten über sie, was sie so erregte, als ob er sie nackt ausgezogen und mit den Händen liebkost hätte. „Der Pfarrer ist in einer Stunde hier. Wir werden unten heiraten, im Büro hinter dem Empfang. Wenn es Tobias gut genug geht, um teilzunehmen, kann er das. Wenn nicht, erzählen wir ihm später davon.“
„Du hast diese Vorkehrungen getroffen, ohne vorher mit mir darüber zu sprechen?“
„Ich dachte, wir hätten alles gesagt, was es zu sagen gibt.“
„Vielleicht hätte ich noch etwas Zeit gebraucht, um mich an den Gedanken zu gewöhnen. Ist dir das je in den Sinn gekommen?“
„Vielleicht wirst du dich nie an den Gedanken gewöhnen“, überlegte Doss laut, der jetzt auf dem Bett saß, das er ganz offensichtlich in der kommenden Nacht mit ihr zu teilen gedachte. Dann stand er auf und reckte sich auf eine Weise, die man nun wirklich nicht als salonfähig bezeichnen konnte. „Ich werde eine Weile ausgehen“, erklärte er.
„Wohin?“, fragte Hannah, und ärgerte sich, dass es sie überhaupt interessierte.
Er kam zu ihr - viel zu nah.
Sie wollte zurückweichen, konnte sich aber nicht rühren.
„Unter anderem einen Ehering kaufen.“ Sein Atem kitzelte ihre Lippen. „Und ich schicke meinen Leuten ein Telegramm und deinen auch, wenn du möchtest.“
Hannah schluckte, dann schüttelte sie den Kopf. „Ich werde Mama und Papa selbst schreiben, wenn es vorbei ist.“
Amüsiert blitzten seine Augen auf. „Wie du magst.“
Damit ließ er sie stehen.
Sie hörte, wie er leise mit Tobias sprach, dann fiel eine Tür ins Schloss. Nach ein paar Minuten kehrte Hannah in das andere Zimmer zurück.
Nach dem Whiskey waren Tobias’ Augenlider schwer. Hannah steckte die Bettdecke um ihn fest und küsste ihn auf die Stirn. Was auch immer geschehen mochte, sie klammerte sich an das Wissen, dass er außer Gefahr war. Ihr eigenes Schicksal war nicht so wichtig.
„Wird Onkel Doss mein Pa sein, wenn ihr beide geheiratet habt?“, fragte er schläfrig.
„Nein“, antwortete Hannah mit fester Stimme. „Er ist dann immer noch dein Onkel.“ Tobias sah so niedergeschlagen aus, dass sie hinzufügte: „Und natürlich dein Stiefvater.“
„Also ist er so was Ähnliches wie mein Vater?“
„So was Ähnliches“, stimmte Hannah zu.
„Also gehen wir jetzt wohl nicht mehr nach Montana“, murmelte Tobias und sank in sein Kissen zurück.
„Vielleicht im Frühling.“
„Du kannst ja gehen“, erwiderte Tobias schon halb schlafend. „Ich bleibe hier mit Onkel Pa.“
Dass er Doss ihrer Familie vorzog, verletzte sie, aber der Junge war krank, und sie wollte nicht mit ihm streiten. „Schlaf jetzt, Tobias“, sagte sie.
Als ob er auf ihre Erlaubnis gewartet hätte, fiel er sofort in tiefen Schlaf.
Hannah saß nur da und betrachtete ihn lange. Dann, als sie sah, wie im Schein einer Gasstraßenlampe der Schnee am Fenster vorbeitrieb, stand sie auf und schaute hinaus.
Inzwischen war es dunkel, und die Gemischtwarenhandlung, der einzige Laden, in dem man einen Ehering finden konnte, hatte bestimmt schon seit einer Stunde geschlossen. Doss jedoch musste nur an die Tür klopfen, damit man ihm öffnete. Dasselbe galt für das Telegraphenamt oder jede andere Einrichtung in der Stadt.
Schließlich war er ein McKettrick.
Eine Träne tropfte von ihrer Wange.
Sie war eine Braut, sie sollte eigentlich glücklich sein.
Stattdessen hatte sie das Gefühl, Gabe zu betrügen und ihre Eltern zu enttäuschen, die gehofft hatten, dass sie nach Hause kommen und dort einen neuen Ehemann finden würde. Auch wenn sie das nie so deutlich gesagt hatten. Doch jetzt musste sie bis an ihr Lebensende auf
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