Winter der Zärtlichkeit
sie konnte nicht antworten. Sie lag nur da, auf der Seite, elend und leer, als ob sie ihre Seele genauso ausgespuckt hätte wie ihr Hochzeitsmahl.
Gleich darauf kniete Doss neben ihr, hob sie auf die Arme, legte sie wieder ins Bett und deckte sie behutsam zu. Er holte eine Schale mit lauwarmem Wasser und ein Tuch aus dem anderen Zimmer und wusch ihr das Gesicht. Danach reichte er ihr ein Glas, und sie spülte sich den Mund aus.
„Ich hole den Arzt“, sagte er.
„Nicht“, flüsterte sie heiser. „Ich muss mich nur ausruhen.“
Also zog er sich einen Stuhl heran, setzte sich neben das Bett und hielt stumm Wache. Hannah wünschte, er würde gehen, und fürchtete zugleich das hohle Gefühl, das sich dann einstellen würde.
Ein Zimmermädchen tauschte den verschmutzten Nachttopf gegen einen neuen aus, säuberte die Schale und brachte eine frische Kanne Wasser. Zwar warf sie immer wieder besorgte Blicke in Hannahs Richtung, sagte aber kein Wort. Auch nachdem sie wieder gegangen war, blieb Doss weiter bei ihr.
Er schüttelte die Kissen aus und drehte den Heizkörper auf.
„Ich dachte, ich schnappe mir Tobias und nehme ihn mit in den Gemischtwarenladen“, schlug er etwas später vor. „Da können wir ein paar Spielsachen kaufen und vielleicht ein Buch.“
Hannah war in einem merkwürdig benommenen Zustand. „Pass nur auf, dass er sich nicht verkühlt“, murmelte sie.
Ihr gesunder Menschenverstand sagte ihr, dass Tobias im Zimmer bleiben sollte. Wenn sie nicht so schwach gewesen wäre, hätte sie auch darauf bestanden. Doch wie die Dinge standen, hatte sie nicht genug Kraft, außerdem wusste sie, wie verzweifelt sich der Junge wünschte rauszugehen, wenigstens für eine Weile.
Doss stand auf und steckte ihre Bettdecke fest. Jeder, der sie gesehen hätte, würde glauben, dass sie ein ganz normales Ehepaar waren, Menschen, die einander liebten. „Soll ich dir was mitbringen?“
„Nein.“ Sie schloss die Augen und döste weg.
Als sie sie wieder öffnete, war Doss zurück. Ein eisiger Duft von frischer Luft begleitete ihn. Sie hörte, wie Tobias im Nebenzimmer mit jemandem plauderte.
„Fühlst du dich besser?“, fragte Doss. Er hielt ein in braunes Papier gewickeltes Päckchen in der Hand.
„Ich habe Durst“, murmelte Hannah.
Sofort brachte er ihr ein Glas Wasser.
Sie trank es leer, wartete kurz und war hocherfreut, als es ihr nicht sofort wieder hochkam.
„Du solltest etwas essen, wenn du kannst“, sagte Doss. Hannah nickte. Mit einem Mal war sie wie ausgehungert. Er verschwand wieder und brauchte so lange, dass sie sich fragte, ob er wohl höchstpersönlich auf die Jagd gegangen war und jetzt die Beute langsam über einem Feuer röstete. Tobias spazierte herein, mit von der Kälte rosa Wangen und glänzenden Augen. „Onkel Jeb will mir ein Sandwich bestellen. Unten im Restaurant. Darf ich?“
„Natürlich“, lächelte sie.
Wachsam trat er einen Schritt näher, als ob sie jeden Moment einfach auseinanderfallen könnte. „Doss sagt, dass du nicht stirbst.“
„Das stimmt“, antwortete Hannah.
„Was ist dann los? Du bleibst sonst tagsüber nie im Bett.“ Sie streckte die Hand nach ihm aus, und nach kurzem Zögern griff Tobias danach. „Ich bin nur ein bisschen faul.“
Seine Augen waren rund und besorgt. „Ich habe gehört, dass du dich übergeben hast.“
Eine Tür wurde geöffnet, und Hannah hörte, wie Doss und Jeb sich leise unterhielten. „Mir geht es morgen wieder gut“, versprach sie. „Geh du nur und genieß dein Sandwich. Du hast nicht oft die Gelegenheit, in einem richtigen Restaurant zu essen.“
Tobias wirkte sichtlich erleichtert. Lächelnd gab er ihr einen Kuss auf die Stirn und floh aus dem Zimmer, wobei er beinahe mit Doss zusammenprallte, der mit einem Tablett eintrat. Eine dampfende Teekanne und eine Schüssel mit etwas herrlich Duftendem standen darauf.
Hannahs Nase kitzelte, ihr Magen begann hörbar zu knurren.
„Hühnchen und Klöße“, erklärte Doss grinsend.
Vorsichtig stellte er das Tablett auf Hannahs Schoß, schenkte ihr eine Tasse Tee ein und hätte sie vermutlich auch gefüttert, wenn sie ihm den Löffel nicht abgenommen hätte.
„Danke.“ Nur mit Mühe erkannte sie in diesem aufmerksamen Mann denjenigen wieder, der sie in ihrer Hochzeitsnacht allein gelassen hatte, um im Blue Garter Saloon zu zechen.
„Gern geschehen.“ Er setzte sich hin, um ihr beim Essen zuzusehen. Ab und zu wanderte sein Blick zu dem Päckchen auf dem Nachttisch,
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