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Winter der Zärtlichkeit

Winter der Zärtlichkeit

Titel: Winter der Zärtlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Miller
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und ein jeder davon ihr Ehemann sein könnte. Als ob er dafür sorgen müsste, dass sie wusste, welcher davon ihr das Buch geschenkt und bemerkt hatte, wie sehnsüchtig sie dieses erste Grün herbeiwünschte, das durch die kalte Erde brach und die kahlen Äste der Bäume schmückte.
    Wusste er, wie sie auf das Brechen des Eises im See hinter dem Haus lauschte? Wie sie den kalten Himmel nach den ersten mutigen Vögeln absuchte, die kleine fröhliche Lieder mitbrachten. Lieder, nach denen sie sich in den geheimsten Regionen ihres Herzens verzehrte, bereits in der Sekunde, in der der erste Schnee fiel?
    Hannah klappte das Buch zu und drückte es an ihre Brust.
    Dann öffnete sie es wieder und blätterte behutsam zur ersten Illustration, ein hübscher farbiger Holzschnitt von lila Krokussen, die über einer dünnen Schneedecke erblühten. Sie saugte den Anblick in sich auf, labte sich an Flieder und Kletterrosen, an Märzveilchen und Pfingstrosen.
    Mitten im Winter hatte Doss ihr Blumen geschenkt. Nur, indem sie die Bilder betrachtete, konnte sie sich die unverwechselbaren Düfte vorstellen, die Form ihrer Blüten und die verschiedenen Farben - vom blässesten Weiß bis zu unergründlich tiefem Lila und Blutrot.
    Sie verschlang alle Abbildungen gierig mit den Blicken, Seite um Seite, fiel dann blumentrunken in einen tiefen Schlaf und träumte von ihnen. Träumte vom Frühling, von Forellen, die in Bächen sprangen, von grünem Gras und einer frischen, warmen Brise, die in ihrem Haar spielte und ihre Haut kitzelte.
    Als sie aufwachte, müde und verwirrt, erfüllte lavendelfarbene Dämmerung das Zimmer. Unter der Tür schimmerte goldenes Licht. Sie hörte Doss und Tobias und erkannte an der Reihe klackernder Geräusche, dass sie Schach spielten. Tobias lachte triumphierend auf, und dieses Lachen rührte sie zu Tränen.
    Sie stand auf, benutzte den Nachttopf und wusch die Hände in der Schale. Dann durchwühlte sie die Taschen nach ihrem Flanellumhang, warf ihn über und tappte über den kalten Holzfußboden zur Tür.
    Tobias und Doss drehten sich zu ihr um.
    Ihr Sohn lächelte erfreut.
    Dagegen wirkte Doss scheu, als würden sie sich zum ersten Mal sehen. Dann sprang er auf, lief zu ihr und nahm sie am Arm, um sie zu einem Stuhl zu führen.
    „Nur keine Umstände“, schimpfte sie, aber erst, nachdem er sich die Umstände bereits gemacht hatte.
    „Ich habe Doss vier Mal geschlagen“, frohlockte Tobias.
    „Tatsächlich?“
    Ohne etwas zu sagen, nahm Doss die Decke von dem anderen Bett, ließ Hannah aufstehen, wickelte sie ein wie Fleisch in eine Wurstpelle und drückte sie dann wieder auf den Stuhl.
    Was soll ich nur von dir halten, Doss McKettrick, fragte sie sich stumm.
    „Ich geh mal runter und bestelle uns etwas zum Abendessen“, verkündete Doss.
    „Ist Jeb schon weg?“, fragte Hannah Tobias, als sie allein waren.
    Während Tobias auf dem Boden kniete und die Schachfiguren in rote und schwarze Türme an den Rändern des Spielbretts räumte, nickte er. „Er hat den Nachmittagszug nach Phoenix genommen. Ich soll dich grüßen und dir gute Besserung wünschen.“
    „Ich hätte mich gern von ihm verabschiedet“, sagte Hannah, was allerdings nicht ganz der Wahrheit entsprach. Sie war nicht allzu erpicht darauf gewesen, Doss’ Onkel noch einmal zu treffen. Er war viel zu schlau, und außerdem wusste er sicher, dass ihr frisch gebackener Ehemann die Hochzeitsnacht in einem Saloon verbracht hatte.
    Ob er Chloe davon erzählen würde? Und würde sie wiederum mit Emmeline und Mandy und den anderen McKettrick- Frauen sprechen? Damit alle die arme Hannah bemitleiden konnten?
    Sie würde es früh genug erfahren. Besorgte Briefe würden ankommen, vermutlich schon mit der nächsten Postkutsche, voll mit vorsichtigen Glückwünschen und behutsam formulierten Fragen. Die Tanten waren keine Tratschweiber, darum brauchte sie nicht mit einem Skandal außerhalb der Familie zu rechnen. Aber sie würden sich ausführlich untereinander unterhalten und dann, wenn sie im Frühjahr mit einer ganzen Horde von Kindern und Enkelkindern auf die Triple M Ranch zurückkehrten und wieder in ihre Häuser einzogen, die Fenster und Türen weit öffneten und den Garten bepflanzten, dann würden sie Doss die Leviten lesen.
    Doch selbst darüber würde Hannah sich freuen, weil es bedeutete, dass der lange Winter vorüber wäre.
    „Ma?“
    Erst jetzt bemerkte sie, dass sie ihre Gedanken hatte schweifen lassen. Schnell richtete sie ihre

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