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Winter Im Sommer - Fruehling Im Herbst

Winter Im Sommer - Fruehling Im Herbst

Titel: Winter Im Sommer - Fruehling Im Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Gauck
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zurückhalten: »Wie viele SED-Mitglieder haben Sie mir denn heute wieder reingedrückt?« Er schaute mich verständnislos an. Wusste denn der Ostchef nicht, dass in der Demokratie bei Bewerbungsgesprächen nicht nach der Parteimitgliedschaft gefragt wird? Der Ostchef wusste es, aber er hätte sich doch gewünscht, dass - wie in den Außenstellen - auch in Berlin ein Ostdeutscher bei den Einstellungsgesprächen öfter dabei gewesen wäre.
    Es galt aber nicht nur, Mitarbeiter einzustellen. Wir mussten parallel zu den Einstellungen das Material sichern, das wir oft in völlig chaotischem Zustand vorfanden, mussten anfangen, es zu archivieren, teilweise erst einmal die Gebäude finden, die für die Lagerung überhaupt geeignet waren. Gleichzeitig aber sollten wir schon die ganze Zeit Auskünfte erteilen.
    Die ersten Informationen über IM wurden bald nach den Besetzungen der Stasi-Gebäude im Dezember 1989 an die Öffentlichkeit lanciert, im revolutionären Überschwang und in einem quasi rechtsfreien Raum. Die ersten spektakulären Fälle betrafen die beiden Spitzenkandidaten der Allianz für Deutschland bei den Wahlen zur Volkskammer im März 1990, Wolfgang Schnur und Ibrahim Böhme. Der eine wurde kurz vor, der andere kurz nach der Wahl enttarnt. Beide waren »Intensivinformanten«, die jahrelang Menschen verraten hatten.
    Rechtsanwalt Wolfgang Schnur hatte seit 1965 als Inoffizieller Mitarbeiter für die Stasi gearbeitet, seine Akten wurden vom Bürgerkomitee in seinem Wohnort Rostock entdeckt. Ibrahim
Böhme, Spitzenkandidat der von der SPD unterstützten Sozialdemokratischen Partei der DDR, hatte der Stasi seit 1968 berichtet; er flog auf, als die Unterlagen über den Lyriker Reiner Kunze im Stasi-Keller von Gera gefunden wurden.
    Heute können wir froh sein, dass uns diese Herren als Ministerpräsidenten der DDR erspart blieben. Allerdings sollten erste Aktenfunde ergeben, dass auch Lothar de Maizière, der DDR-Regierungschef von April bis Oktober 1990, belastet war. Nachforschungen über ihn erfolgten bereits während seiner Amtszeit und wurden später offiziell im Rahmen der Behörde beendet, der entsprechende Bericht ging dem Innenminister Ende Januar 1991 zu. Trotz belastender Indizien erklärte Wolfgang Schäuble de Maizière aber für entlastet, möglicherweise habe er nicht gewusst, dass er als IM geführt worden sei. Die Parteispitze der CDU wollte ihren stellvertretenden Bundesvorsitzenden offenkundig decken.
    Mir waren in dieser Situation aufgrund der restriktiven Benutzerordnung die Hände gebunden. Das schmerzte, doch ich hielt mich an die Rechtsgrundlage. Regierung und Parlament waren berechtigt, Anträge zu stellen, Medien und Forscher noch nicht. Viele Stasi-Auflöser aus den Kreisen der Bürgerkomitees rieben sich an den Einschränkungen; sie wollten sich den Bestimmungen, Dienstwegen und Zuständigkeiten nicht oder nur begrenzt unterordnen. So stieß ich eines Tages im Spiegel auf Äußerungen von Stefan Wolle und Armin Mitter, beide Historiker unserer Behörde, die erklärt hatten, dass Innenminister Schäuble unseren Bericht geschönt habe und sein Persilschein für de Maizière nicht mit den Fakten über den IM Czerni in Einklang zu bringen sei.
    Ich bestellte die beiden umgehend in mein Dienstzimmer. Es musste etwas geschehen.
    »Wie kommen Sie dazu, sich öffentlich zu äußern? Sie kennen die Zugangsregeln und haben unterschrieben, sich rechtskonform zu verhalten?! Wo ist ihre Loyalitätspflicht?«
    Die beiden schienen nicht überrascht und erst recht nicht
schuldbewusst. Sie fragten mich, wozu sie die Revolution gemacht hätten und wem sie zu größerer Loyalität verpflichtet seien - bürokratischen Vorstellungen und einem restriktiven Übergangsgesetz oder der Maxime, für die sie gekämpft hätten: Offenheit und Stasi-Akten in die Hand des Volkes? Wieder einmal rieb sich die revolutionäre Moral am Rechtsstaat.
    Ich bat sie um Geduld: »Es ist doch nur eine Frage der Zeit, bis wir das Gesetz bekommen, das Ihnen zusichert, genau das zu tun, was Ihnen jetzt noch untersagt ist: die Öffentlichkeit zu informieren!«
    Doch ich stieß auf taube Ohren. Sie wussten nicht, ob sie darauf vertrauen könnten und wollten nach ihrem Gewissen entscheiden.
    Ich war angetreten, den Rechtsstaat zu schützen, und der wird nachrangig, wenn die Moral der Guten die Regeln setzt. Staatliche Verwaltung muss dem Recht gehorchen, weder Gutdünken noch Gut-Meinen, noch Böswilligkeit dürfen das Handeln leiten.

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