Winter Im Sommer - Fruehling Im Herbst
gegnerische.
Mir war klar, dass wir verloren hätten, wenn wir in dieser Runde nur ein wenig nachgeben würden. Daher habe ich unsere verfassungsrechtliche Position juristisch aggressiv vorgetragen
und alle Gegenargumente etwa aus dem Polizeirecht und dem Verfassungsschutzrecht nachdrücklich zurückgewiesen. Ich wusste, wenn ich nicht entschieden auf unseren Essentials bestehe, geht das Tauziehen weiter. Herr Gauck neben mir wurde unruhig, weil ihm mein aggressiver Ton gegen Beamte eines Rechtsstaats, wie er immer zu formulieren pflegte, nicht gefiel. Da habe ich, obwohl wir immer die Distanz wahrten, kurz die Hand auf seinen Arm gelegt und leise gesagt: »Lassen Sie mich machen. Es wird schon gut.« Wir hatten die besseren Waffen: er mit seiner Ausstrahlung, seiner Botschaft, ich als spezialisierter Jurist, der darin geschult war, andere mit juristischen Argumenten zu überzeugen.
Kern unserer Bemühungen war es, die persönliche Einsichtnahme von Bürgern in ihre Akten uneingeschränkt durchzusetzen. Dabei stützten wir uns auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, wie es vom Bundesverfassungsgericht 1983 im Zusammenhang mit der Volkszählung geprägt worden war. Aufgrund der grundgesetzlich garantierten Menschenwürde und des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit hat der Einzelne ein Recht zu erfahren, wer wann was über ihn zusammengetragen hat. Nur wenn er auch insoweit Herr seiner Daten ist, kann er darüber bestimmen, in welcher Weise er in die Öffentlichkeit treten will.
Dass die Informationen im Fall des Staatssicherheitsdienstes unrechtmäßig gesammelt wurden, sprach meines Erachtens in der konkreten politischen Situation nicht für Schließung oder Vernichtung der Akten (was von nicht wenigen gefordert wurde), es machte die Aufklärung nur noch dringlicher. Als ich in Bayern im Datenschutzbereich gearbeitet hatte, hatte ich erfahren, dass das Wissen nicht aus den Köpfen verschwindet, wenn Akten vernichtet werden. Ohne Akten kann der Einzelne dem Wissen der einst Herrschenden nichts entgegensetzen. Wer behauptet, aufgrund seiner früheren Funktion etwas zu wissen, kann sogar Dinge in die Welt setzen, die möglicherweise gar nicht wahr sind. Der Betroffene aber ist ohne Kenntnis
des Aktenmaterials hilf-und wehrlos. Deswegen hielt ich es für sehr wichtig, den Betroffenen Einsicht in ihre Unterlagen zu geben, damit sie wissen, was auf sie zukommen könnte und welche Gerüchte über sie kursierten. So könnten sie sich gegebenenfalls wehren. Das heißt aber nicht, dass auch Behörden diese Unterlagen in gleicher Weise verwenden dürfen.
Für mich war juristisch nicht entscheidend, ob die ehemaligen DDR-Bürger die Akteneinsicht haben wollten , weil sie nun freie Bürger waren. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung stand und steht ihnen als verfassungsrechtlicher Anspruch prinzipiell zu - damit verfügen sie über die stärkste Anspruchsgrundlage, die man überhaupt haben kann.
Der FDP-Politiker und Jurist Burkhard Hirsch und einige andere Liberale, die sich für die Wahrung von Bürgerrechten engagierten, waren jedoch in großer Sorge, dass durch die Akteneinsicht Informationen über Dritte erworben und damit deren Persönlichkeitsrechte verletzt werden könnten. Die Akten handeln ja nicht nur von den Observierten, sondern man erfährt auch vieles über die Menschen in ihrem Umkreis und selbst über den berichtenden IM. Auch insofern waren die Stasi-Unterlagen tatsächlich nicht unproblematisch. Überzeugt hat aber, dass gerade infolge der besonderen Situation, nämlich dass Menschen in einer Diktatur überwacht worden waren, eine Abwägung vorgenommen werden muss zwischen dem Recht der Betroffenen zu wissen und dem Recht derer, die am Rande durch deren Einsichtnahme betroffen sind. Wir waren zudem der Meinung, dass schwere Persönlichkeitseingriffe vermieden werden können, wenn die Namen Dritter geschwärzt werden, wir die Akten also bearbeiten, bevor wir sie zur Verfügung stellen. So konnten wir die Bedenken zerstreuen. Als sich aber Abgeordnete wie Burkhard Hirsch, Leitfiguren rechtsstaatlicher Auffassungen, für die Grundstruktur des Stasi-Akten-Gesetzes verwendeten, schufen sie Mehrheiten in den Fraktionen.
Dass Datenschutz kein ausreichender Grund sein kann, die Akteneinsicht zu verhindern, hatten wir schon während der Volkskammer-Zeit gelernt. Wie aber im Einzelnen umzugehen sei mit unterschiedlichen, auch konkurrierenden Rechtsgütern, das wussten wir nach wie
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