Winter Im Sommer - Fruehling Im Herbst
Wenn ein Verhalten wie dieses einreißen würde, könnte die Behörde schließen. Und so erklärte ich die beiden mit sofortiger Wirkung für entlassen. Glücklicherweise gab es einen Juristen neben mir, der schnell nachschob: »Herr Gauck, Sie meinen, nach Anhörung des Personalrats werden wir sicher zu einer Entlassung kommen.« In meiner Empörung über die Missachtung rechtsstaatlicher Prinzipien hatte ich für einen Moment selbst rechtsstaatliche Prinzipien missachtet - genauer gesagt: Ich kannte sie damals noch gar nicht.
Bürgerrechtler haben mir die Entlassung der beiden Historiker sehr übel genommen. Für sie war ich zur anderen Seite übergelaufen. Mir hat die Entlassung leid getan. Ich habe die beiden Historiker geschätzt. Sie haben früh zur DDR publiziert, und sie waren aus dem Osten. Der Behörde fehlten solche Historiker. Ich konnte und wollte aber nicht anders handeln. Nach mehreren Jahren haben wir uns wieder einander angenähert. Ich habe sogar versucht, Stefan Wolle wieder zur Behörde zu bringen.
So mühten wir uns einerseits, der aktuellen - noch restriktiven
- Rechtslage zu entsprechen, und engagierten uns andererseits für die Schaffung einer neuen, breiteren Rechtsgrundlage. Die Übergangsregelung aus dem Einigungsvertrag galt es zu ersetzen durch ein Gesetz des Deutschen Bundestages. Noch immer gab es Gegenwind. Die Argumente lauteten ähnlich wie schon in der Volkskammer: Es werde Mord und Totschlag geben. Oder auch: Die Persölichkeitsrechte würden verletzt. Umstritten war vor allem, dass die Stasi-Mitarbeit als mangelnde Eignungsvoraussetzung im öffentlichen Dienst gelten sollte.
Schon unter den restriktiven Bestimmungen des Einigungsvertrages hatte der öffentliche Dienst das Recht gehabt, sich von seinen durch Stasi-Mitarbeit belasteten Angehörigen zu trennen. Ein exakter Kriterienkatalog für Entlassung oder Weiterbeschäftigung fehlte allerdings. Damals wurde diskutiert, ob eine durch Stasi-Mitarbeit erfolgte Entlassung nicht einem außergerichtlichen Schuldspruch gleichkäme. Ich war der Meinung, dass es hier nicht um Schuld gehe, sondern um Eignung, und dass eine inoffizielle Zusammenarbeit mit der Geheimpolizei als Malus für einen Angestellten oder Beamten im öffentlichen Dienst zu betrachten sei. Im Konflikt mit Stolpe ist diese Debatte noch einmal aufgelebt.
Wir waren damals eine argumentative Macht, und das schlug sich schließlich ganz deutlich im Bundestag nieder. Eine breite Mehrheit von CDU/CSU, SPD und FDP hat das Gesetz unterstützt. Links-alternative Politiker aus meiner eigenen Partei Bündnis 90/Die Grünen, der ich allerdings seit meiner Amtsübernahme nicht mehr angehörte, blieben mit ihrem Alternativvorschlag in der Minderheit. Ihr unüberwindliches Misstrauen gegen jedwede Art von Geheimdienst stieß auf kein Verständnis.
Mit dem neuen Stasi-Unterlagen-Gesetz (StUG) vom Dezember 1991, das im Kern bis heute gültig ist, konnten wir unsere Anliegen tatsächlich in breitem Umfang durchsetzen. In der Präambel ist es festgehalten: Die Behörde soll den Opfern Einsicht in die eigenen Akten geben, die Strafverfolgung und Rehabilitierung der zu Unrecht verfolgten Personen unterstützen, eine Durchleuchtung des öffentlichen Dienstes und des privaten Sektors
ermöglichen und die Öffentlichkeit über Struktur und Wirkungsweise des MfS informieren - also politische, juristische und historische Aufarbeitung betreiben.
Es war ein Spezialgesetz, geschaffen für eine konkrete historische Situation. Es gewährte Zugangsrechte zu Daten, die unter grober Missachtung rechtsstaatlicher Regeln gewonnen worden waren, also im Normalfall vor Gericht unter Verwertungsverbot fallen. Es ermöglichte ferner Einsicht in persönliche Daten, die im Normalfall dem Datenschutz unterliegen. Hätten wir schematisch bestehende Rechtsformen übernommen, hätten die personenbezogenen Daten nach dem Bundesarchivgesetz dreißig Jahre lang einer Zugriffssperre unterlegen. Die Regelungen im neuen Gesetz waren sogar noch großzügiger als im Volkskammergesetz. So wurde den Aktenlesern nicht nur erlaubt, den Decknamen, sondern auch den Klarnamen von Inoffiziellen Mitarbeitern zu erfahren.
Die Berichte der IM stehen, geschwärzt an den Stellen, die die Rechte Dritter betreffen, Forschern und Medien zur Verfügung, während die Akten der Opfer nicht freigegeben sind. Auf diese Weise sollen die Opfer geschützt werden. In der Regel haben die Opfer ein Interesse an der Darstellung ihrer
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