Winter Im Sommer - Fruehling Im Herbst
künftiger Pfarrer in der DDR bleiben wollte, war er des Fluchtversuchs beschuldigt worden. Es hatte sich um eine hinterhältige Falle gehandelt: Andere Menschen aus dem Freundes-und Bekanntenkreis von IM Klaus, die sich auf den Vorschlag eingelassen hatten, waren im Hafen von Danzig verhaftet worden.
Matthias Storck, der sein Theologiestudium in Westdeutschland beendet hat und heute als Pfarrer in Herford tätig ist, war durch die Akteneinsicht umso mehr schockiert, als sein »Freund« Frank Rudolph 1985 ebenfalls nach Westdeutschland übergesiedelt war, eine Stelle in Frankfurt am Main beim Evangelischen Pressedienst angetreten und noch aus der Bundesrepublik weiter für die Stasi gearbeitet hatte. Dass er aufflog und nach 1990 wegen Spionage zu einer Bewährungsstrafe und 10 000 DM Geldstrafe verurteilt wurde, hat die Enttäuschung über den Verrat bei dem Ehepaar Storck nicht beseitigen können.
Für mich war es eine der größten Überraschungen, wie schnell die eigentlichen Täter, die hauptamtlichen Stasi-Mitarbeiter, nach der Aktenöffnung aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit verschwanden.
Schon in der Modrow-Zeit wurden sie quasi »legalisiert« überführt: Sie erhielten Arbeitsplätze beim Zoll, bei der Polizei, auch in zivilen Bereichen. In Rostock wurden einige sogar als Lehrer angestellt, was allerdings zur Absetzung des Stadtschulrats und schließlich sogar des alten kommunistischen Oberbürgermeisters führte. Unser Slogan während der Bürgerproteste war aber nicht »Stasi an die Laterne« gewesen, sondern »Stasi in die Produktion« oder - in Sachsen - »Stasi in den Tagebau«, was bedeutete: Sie sollten im Prinzip integriert und unter normalen Beschäftigten »resozialisiert« werden.
Viele Stasi-Mitarbeiter haben sich in die Privatwirtschaft zurückgezogen. Sie haben - vielleicht mit Geldern aus schwarzen MfS-Kassen oder von der Partei, vielleicht auch mit Krediten von der Bank oder der Sparkasse - ein Gewerbe angemeldet, sind Reiseunternehmer geworden, Versicherungsvertreter, sie haben Wachschutz-, Immobilien-und Beerdigungsunternehmen gegründet und eine Reihe von Dienstleistungsjobs übernommen. Nicht selten haben sie gut verdient. Die Personalratschefin unserer Behörde, immerhin einer Behörde mit mehr als 3000 Mitarbeitern, traf einmal den MfS-Offizier, der versucht hatte, sie anzuwerben. Er trat selbstbewusst auf, gut gekleidet, mit selbstsicherem Lächeln. Während sie sich mit einem zehn Jahre alten Opel begnügte, fuhr er einen Daimler, den er gerade für ein noch teureres Gefährt in Zahlung geben wollte. Während sie diszipliniert Tag für Tag ihre Büroarbeit leistete, konnte er sich als Immobilienmakler seine Arbeit einteilen: »Tja, hätten Sie bei uns angefangen …« Hatte er nicht wieder besser abgeschnitten?
Als Herrenmenschen hatten viele Stasi-Offiziere wie übrigens auch eine Menge von SED-Führungskadern schon in der Diktatur gelernt, ihre Ellenbogen einzusetzen, was ihnen in der neuen offenen Gesellschaft bei Unternehmern aus dem Westen oder auch unter ihresgleichen Vorteile verschaffte. Ihre einstigen Opfer waren dagegen nicht selten traumatisiert, litten nach Jahren der Drangsalierung unter einem geringen Selbstwertgefühl und mussten ihnen oft den Vortritt lassen. Insofern lässt sich von einer gewissen
Kontinuität der Eliten sprechen, zwar nicht auf der politischen Leitungsebene, wohl aber im privaten wie im öffentlichen Bereich, etwa in den Verwaltungen der Kommunen. In anderen Ländern des Ostblocks war dieses Phänomen noch stärker ausgeprägt, da sie ihre Gerichte, Staatsanwaltschaften, Hochschulen und so weiter nicht mit unbescholtenem Personal aus dem Westen besetzen konnten und sich bei ihnen weniger Firmen von dort niederließen.
Die weiche Landung von ehemaligen Mitgliedern der DDR-Funktionseliten hat Bespitzelte, Verfolgte und Oppositionelle verständlicherweise verbittert. Eine Umfrage des Psychologischen Instituts in Hamburg Anfang der 1990er Jahre ergab allerdings, dass die Betroffenen noch weit mehr Verantwortung für das, was ihnen widerfahren war, den Zuträgern des Geheimdienstes zuschoben, den Spitzeln, den Inoffiziellen Mitarbeitern. Eine derartige Fokussierung des Interesses auf die IM, wie wir sie vor allem in den Jahren 1992 bis 1995 erlebten, hatte ich nicht erwartet - und schon gar nicht eine derartige Emotionalität der Debatte.
Es hat wohl noch keine Gesellschaft ohne Denunziation gegeben, aber es hat auch noch keine gegeben, die den
Weitere Kostenlose Bücher