Winter Im Sommer - Fruehling Im Herbst
auch zur Landeskirche Greifswald hat unsere Mecklenburgische Kirche den Basisgruppen am Rande der Kirche ihren Schutz nicht entzogen, und sie brauchten sich nicht als innerkirchliche Opposition zu formieren.
Die Hauptattraktion unseres Kirchentages 1988 sollte der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt sein. Wir wollten ihm ein anderes Mecklenburg zeigen als das, was er bei seinem Besuch 1981 in Güstrow erlebt hatte, als die Stasi Volk spielte. Helmut Schmidt war in der DDR immer ein außerordentlich beliebter Politiker, auch noch als er in Westdeutschland in seiner eigenen Partei keinen Rückhalt mehr hatte. Wir mussten seinen Auftritt aber nicht nur dem Staat gegenüber durchsetzen, sondern auch gegen Widerstand in den eigenen Reihen. So kam es zu einer unerfreulichen Situation bei einer Verhandlung mit dem Rat des Bezirks, an der von kirchlicher Seite je zwei Vertreter der Mecklenburgischen und der Greifswalder Kirche teilnahmen. Als von
staatlicher Seite zum wiederholten Mal Bedenken gegen den Besuch von Helmut Schmidt geäußert wurden, sprang ihr der Greifswalder Bischof Gienke plötzlich bei: »Wenn die Herren vom Staat sich so schwertun mit der Einreise des Altbundeskanzlers, dann sollten wir sie doch verstehen und uns vielleicht zurückziehen.«
Bischof Stier und ich trauten unseren Ohren nicht: »Bruder Gienke, das werden wir doch wohl nicht hier erörtern? Darüber werden wir uns doch erst einmal untereinander verständigen?« Hinterher kam es zu einer scharfen Auseinandersetzung, in der Bischof Stier und ich nicht einlenkten, denn der Kirchentag fand in unserer Landeskirche statt. Wir vertraten die Haltung, dass wir dem Staat nicht die Drecksarbeit abnehmen und Helmut Schmidt ausladen würden. Viel später, nach der Öffnung der Stasi-Akten, stellte sich heraus, dass es für Bischof Gienke wie für seinen Superintendenten eine Akte als IM bei der Stasi gab. Als staatliche Stellen die Einreise Schmidts zum Kirchentag in Rostock tatsächlich ablehnten, schrieb unser Landesbischof Stier dem ehemaligen Bundeskanzler einen Brief, dass er die Einladung aufrechterhalte.
Und Helmut Schmidt kam.
Am 18. Juni 1988 sprach er vor rund 2500 Zuhörern in der Marienkirche und nahm anschließend an einer Podiumsrunde in der Heiligen-Geist-Kirche vor rund tausend Besuchern teil. Bei seiner Begrüßung notierte der MfS-Offizier: »Jubelrufe, lang anhaltender stürmischer Beifall.« In der Zeit des Kalten Krieges, sagte Schmidt damals, habe es Feindbilder gegeben und die Führungspersonen der Großmächte hätten sich nicht persönlich gekannt. »Dies scheint jetzt überwunden. Aber eines müssen wir daraus lernen: Man kann den anderen nur verstehen, wenn man ihm zuhört, wenn man ihn befragt und seinen Antworten zuhört. Und er kann mich nur verstehen, wenn ich seine Fragen beantworte.« Schmidt scheute auch das heikle Thema der deutschen Teilung nicht: »Jeder von uns weiß, dass wir eine Aufhebung der Teilung nicht erzwingen können … Und trotzdem darf jeder von uns an seiner Hoffnung auf ein gemeinsames Dach über der deutschen Nation festhalten.«
Kirchentag 1988 in Rostock - auf der Kanzel der Marienkirche Helmut Schmidt. Wir hatten seine Einladung gegen den Widerstand der SED durchgesetzt. Tausende Menschen bereiteten ihm einen begeisterten Empfang.
Der Kirchentag war ein großes Ereignis, und natürlich war das Westfernsehen da. Das war wichtig, denn zur Abschlusskundgebung mussten wir hinaus in einen Park am Rande der Stadt und durften nicht mehr wie beim Kirchentag im Lutherjahr im Zentrum der Stadt feiern. Rund 40 000 Menschen versammelten sich unter freiem Himmel, aber ohne das Fernsehen hätte selbst diese Riesenmenge nur eine sehr begrenzte öffentliche Aufmerksamkeit erreicht.
Schon in der Vorbereitungsphase hatte das Leitungsgremium beschlossen, dass die Abschlusspredigt kein Bischof halten sollte, der zu einer gewissen Zurückhaltung gezwungen gewesen wäre und manche Themen nicht in aller Offenheit hätte ansprechen können. Ein Pastor sollte sprechen, jemand aus der Mitte der Gemeinde. Die Wahl fiel auf mich.
Ich war unglaublich aufgeregt. Noch nie hatte ich vor so vielen Menschen gesprochen. Wie sollte ich die allgegenwärtige Kritik formulieren, die ich weder verschweigen wollte noch so anklagend vortragen durfte, dass der Staat künftige Kirchentage hätte verbieten oder zumindest stark behindern können? Ich habe alles sorgfältig geistlich eingekleidet, aber Signalwörter ausgesprochen
Weitere Kostenlose Bücher