Winter Im Sommer - Fruehling Im Herbst
auf Veranstaltungen in den Kirchen auf und erteilte Rechtsberatung vor allem für Bausoldaten und Totalverweigerer. Jugendliche Wehrdienstverweigerer reichten sich seinen Namen weiter für den Fall, dass sie einmal juristischen Beistand gebrauchen würden.
Seit seinem Umzug von Binz auf Rügen nach Rostock im Jahre 1978 wohnte Rechtsanwalt Schnur in einem Einfamilienhaus in Brinckmansdorf, dem Stadtteil, in dem ich groß geworden war und in dem meine Eltern immer noch wohnten. Er hatte eine der sehr seltenen Einzelzulassungen für eine Rechtsanwaltskanzlei
erhalten, und so mancher fragte sich, wie er zu diesem Privileg gekommen sei. Er könne, sagten einige Frauen aus der Kirche, dem Anderen nicht in die Augen sehen, und sie wunderten sich, warum jemand wie er in die Synode gewählt werden sollte. Wir aber, die wir glaubten, ihm vertrauen zu können, wehrten ab: »Entweder ihr führt Beweise an oder ihr schweigt.« Schnur trat auf wie einer von uns, sprach uns mit »Schwester« und »Bruder« an, tauchte häufig bei kirchlichen Veranstaltungen auf, und ich befürwortete seine Wahl in die Landessynode, weil ich dachte, dass wir bekannte Menschen wie ihn gut gebrauchen könnten.
Gleich eine der ersten Fragen, die Schnur seiner Mandantin Ute stellte, betraf meine eventuelle Mitwisserschaft. Ute erklärte wahrheitsgemäß, dass ich »erst im Nachgang von den Ausführungshandlungen« erfahren hätte. Ferner: »Gauck soll ihr gegenüber deutlich zu erkennen gegeben haben, dass er diese Handlung missbillige. Sie trug jedoch mit vor, dass Pastor Gauck einen wesentlichen Persönlichkeitseinfluss auf sie ausgeübt habe und sie vor allen Dingen auch dadurch eine sehr starke kritische Haltung zu den gesellschaftlichen Fragen in der DDR erhalten habe. Sie habe in Pastor Gauck auch den Ersatz der Vaterstelle gesehen, weil sie sich hier offen aussprechen konnte.« Abgesehen davon, dass Ute gegen das DDR-System bereits äußerst kritisch eingestellt war, als sie zu uns stieß, stimmte ganz sicher, dass die Junge Gemeinde für sie zum Zufluchtsort geworden war.
Mir ist nicht bekannt, ob Wolfgang Schnur, alias IM Torsten, versucht hat, seine Mandantin zur Rücknahme ihres Ausreiseantrags zu bewegen. Der Stasi-Spitzel, mit dem Gunnar gezielt zusammengelegt worden war, nachdem er einige Tage bei Dauerlicht in Einzelhaft gesessen hatte, war jedenfalls erfolgreich. Er überzeugte Gunnar davon, dass es einen Weg aus der DDR geben werde, ohne dass er ein oder zwei Jahre im Knast zubringen müsse - und Gunnar zog seinen Antrag zurück. Es war schmerzlich für Ute, diese Kehrtwendung mitzuerleben, obwohl auch sie nicht geglaubt habe - so ihr Verteidiger Schnur in seiner Rolle als IM Torsten an die Stasi -, »dass die Auswirkungen ihrer Handlungen
so hart bestraft werden« und »sie noch in eine Strafvollzugseinrichtung« müsse. Es empörte sie, dass Gunnar auch sie, wenn sie im Gefängnis zusammengeführt wurden, zu überreden versuchte. Nach einem Gespräch mit seiner als »psychisch sehr labil« beschriebenen Mandantin am 13. März 1986 meldete Wolfgang Schnur wiederum als IM Torsten: »Sie selbst will, dass die Scheidung eingereicht wird.«
Mir war klar, dass Ute schrecklich unter den Gefängnisbedingungen leiden musste. Als ich im April 1986 völlig unerwartet eine Ausreisegenehmigung zur Präsidiumssitzung des Evangelischen Kirchentages in Fulda erhielt, bat ich den damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, sich für sie zu verwenden. Weizsäcker scheint tatsächlich umgehend gehandelt zu haben, denn schon nach wenigen Tagen war das Büro des Ost-Berliner Rechtsanwalts Wolfgang Vogel, der für die DDR-Regierung den Häftlingsfreikauf verhandelte, mit dem Fall von Ute Christopher betraut.
Gunnar hingegen wurde kurz vor Beginn des Prozesses zu einem ihm unbekannten Stasi-Offizier in ein Vernehmungszimmer gerufen. Es sei sehr lobenswert, sagte ein freundlicher Stasi-Offizier, dass er, Gunnar Christopher, seinen Ausreiseantrag zurückgezogen habe. Und: Er könne seine positive Haltung gegenüber der DDR nun dadurch beweisen, dass er sich bereit erkläre - selbstverständlich gegen künftige Vergünstigungen -, mit der Stasi zusammenzuarbeiten. Gunnar war darauf vorbereitet. Eine derartige Zusammenarbeit, sagte er in ebenso freundlichem Ton, könne er sich durchaus vorstellen - und unterschrieb eine Verpflichtungserklärung.
Dass er einen Fehler begangen hatte, als er den Ausreiseantrag zurückgezogen hatte, war ihm
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