Winter Im Sommer - Fruehling Im Herbst
mit meinen Verbündeten Harald Terpe und Heiko Lietz auch republikweit durch. Gegen den Widerstand des bisher dominierenden »linken« Flügels wurde eine Grundsatzerklärung verabschiedet, mit der sich das Neue Forum zur Einheit der deutschen Nation bekannte.
Daraufhin bin ich an den zentralen Runden Tisch gewählt worden. Doch weder in Berlin noch in Rostock habe ich am Runden Tisch Platz genommen. Ich hatte keine Zeit dafür. Eine Konsenspolitik von nicht legitimierten Mitgliedern eines Elitegremiums erschien mir als Übergangslösung sinnvoll, aber was sollte das für ein Politikstil sein? Für mich war die parlamentarische Demokratie das Ziel.
Im Westfernsehen stellte es sich so dar, als sei die Bürgerbewegung geschlossen gegen die Einheit. Da die Westmedien vor allem in Berlin saßen und seit Jahren enge Kontakte zu Mitgliedern des Neuen Forums pflegten, wurde das Neue Forum fast so etwas wie ein Synonym für die Opposition. Im Gedächtnis blieb Bärbel Bohley, die sich einen Schnaps eingoss, als Günter Schabowski am
9. November die Reisefreiheit verkündete, ins Bett ging und sich selbst »für acht Stunden beerdigte«, als der erste Trabant im Westen begrüßt wurde. Die Leute in Rostock hat das so wütend gemacht, dass man sie am nächsten Tag, wäre sie mit unserer Basis in Kontakt gekommen, aufs schärfste attackiert hätte.
Winter 1989/90: Die Angst war einmal. Auch in Rostock haben wir wochenlang den aufrechten Gang trainiert. »Deutschland, einig Vaterland«, auf dem Transparent noch von einer kleinen Gruppe gefordert, wird bald die Losung der Bevölkerungsmehrheit sein.
Es zeigte sich, dass einige Bürgerrechtler den Kontakt zu den Massen auf der Straße ebenso verloren hatten wie ein Teil ihrer Gesprächspartner aus dem linksalternativen Milieu des Westens. Die Folge war ein tragischer Verfall. Zwar wurden die Väter und Mütter der Revolution nicht von ihren Kindern aufgefressen, aber man ließ sie bei den ersten freien Wahlen im Regen stehen. Oppositionelle, die später dazugestoßen waren, gingen andere Wege als die altgedienten Dissidenten. Den neuen Aktiven der erweiterten Demokratiebewegung gefiel die idealistische und welterneuernde Attitüde führender Bürgerrechtler nicht, und sie hegten auch wenig Sympathie für diejenigen, die sich ein ganzes DDR-Leben lang gegen den staatlichen Paternalismus gewehrt
hatten, jetzt aber ihrerseits nicht frei waren von paternalistischen Ambitionen. Sie allein meinten zu wissen, was für das Volk gut sei, das aber ließ sich in seiner Unreife leider vom Westen, von Helmut Kohl verführen. Als Mitglieder des Neuen Forums von einer ökologischen Republik mit Windrädern schwärmten und am liebsten sofort auf das Fahrrad umgestiegen wären, blieb ich nüchtern: »Wer Trabant gefahren ist, möchte erst einmal ein richtiges Auto fahren, bevor er - vielleicht - irgendwann einmal zu einem bewussten Verzicht bereit ist.«
Beim Republiktreffen im Januar 1990 machten Bärbel Bohley und andere Gründungsväter und -mütter einen recht unglücklichen Eindruck: Was geschah da mit ihrem Forum? Die neuen Mitglieder erschienen ihnen zu konservativ oder zu realpolitisch, die hatten weniger gekämpft - und die sollten jetzt Einfluss haben?
Ende Januar 1990 beschloss eine aus Vertretern der SED und des Runden Tisches gebildete »Regierung der nationalen Verantwortung« freie Wahlen zur DDR-Volkskammer für den 18. März. Um ihre Chancen zu erhöhen, schlossen sich verschiedene Oppositionsgruppen Anfang Februar zu Wahlbündnissen zusammen. Neben der an die CDU angelehnten Allianz für Deutschland entstand so auch das an die Grünen angelehnte Bündnis 90, zu dem sich das Neue Forum, Demokratie Jetzt und die Initiative Frieden und Menschenrechte zusammentaten.
Eigentlich hätte ich mit meinen damaligen Überzeugungen als pragmatischer Politiker in die SPD eintreten müssen. Doch in Rostock gingen die aktiven und bewussten Mitstreiter aus den Herbsttagen mit dem Neuen Forum ins Bündnis 90. Wir wollten eine rationale Politik machen und konnten diese im Rostocker Umfeld auch durchsetzen. Was das Neue Forum in Berlin dachte, interessierte uns weniger. Dass in Rostock vieles anders war als in Berlin, wurde auch offenbar, als die Organisation endlich eine eigene Zeitung hatte, Die Andere . Wir brachten sie in Rostock nur spärlich unter die Leute, weil vieles, was dort zu lesen war, als zu links empfunden wurde.
Schwerin im Februar 1990. Hier sitzen Repräsentanten des
Weitere Kostenlose Bücher