Winter People - Wer die Toten weckt: Wer die Toten weckt (German Edition)
umgebracht, nicht wahr? Weil er nicht damit leben konnte, was er mir angetan hatte.«
Ich blickte in ihre dunklen, mit Gold gesprenkelten Augen. Sie schlugen mich in ihren Bann und trugen mich zurück in die Zeit, als ich noch ein kleines Mädchen gewesen und Hand in Hand mit ihr zum Bach gegangen war.
Du bist anders als die anderen, Sara. Du bist wie ich.
Mag sein , dachte ich. Es mag sein, dass ich wie Auntie bin. Vielleicht bin auch ich fähig zu morden; grausame Rache zu üben. Auntie zu töten würde mir nichts von dem zurückgeben, was sie mir geraubt hatte, doch es wäre eine Art Gerechtigkeit. Ich würde sie töten. Ich würde es für Gertie tun. Für Martin. Für meinen Vater und meinen Bruder.
Doch der Entschluss kam zu spät.
Mit einer unglaublich schnellen Bewegung riss Auntie mir das Gewehr aus der Hand, drehte es um und zielte auf mich. Ich hatte vergessen, wie flink und stark sie war.
»Lass uns hinausgehen und schauen, ob wir deine Gertie finden, einverstanden?«, sagte sie, als hätte ich eine Wahl. »Ihr bleiben nur noch wenige Stunden, bis sie zurück unter die Erde muss. Ich will dabei sein, wenn es so weit ist. Ich will dein Gesicht sehen, wenn das kleine traurige Phantom, das du zum Leben erweckt hast, für immer verschwindet.«
4. Januar
Gegenwart
Katherine
Das erste Stück legte sie praktisch blind zurück, aus Angst, die anderen könnten den Lichtschein ihrer Taschenlampe sehen und ihr folgen. Lange würden sie nicht brauchen, um sie zu finden. Sie musste rasch handeln.
Der Tunnel war lang und führte weiter in die Tiefe. Die Wände waren kalt und klamm, immer wieder glitt sie auf den nassen Felsen aus.
Sie hatte keine Ahnung, wohin sie ging. Befand sich die Pforte an einer ganz bestimmten Stelle? Oder konnte sie das Ritual an einem beliebigen Ort innerhalb der Höhle vollziehen?
Sie blieb stehen, um zu verschnaufen, und lauschte. Sie hörte Stimmen, doch sie waren weit weg, nicht viel mehr als Echos. Aus Richtung der Kammer drang kein Lichtschimmer zu ihr; vermutlich war sie inzwischen weit genug weg, um gefahrlos die Taschenlampe einschalten zu können. Sie blinzelte, als es plötzlich hell wurde, und sah, dass sich der Tunnel vor ihr gabelte. Nach einigem Zögern wandte sie sich nach links. Die Decke war niedriger, so dass sie auf allen vieren kriechen musste. Nach etwa zwei Metern endete der Tunnel in einer Sackgasse, woraufhin sie rückwärts wieder herauskroch und den rechten Tunnel nahm. Sie folgte seinen engen Windungen, duckte sich und schob sich seitwärts weiter, als der Tunnel zu schmal wurde. Das Vorwärtskommen war mühsam, und Katherine schätzte, dass sie nur etwa drei Meter zurückgelegt hatte.
Weiter , flüsterte Gary. Gut so. Du hast es gleich geschafft.
Inzwischen war sie so weit von der Hauptkammer entfernt, dass sie die anderen nicht länger hören konnte. Ihr kam ein neuer, beängstigender Gedanke: Finde ich hinterher überhaupt wieder nach draußen? Ihr kamen Szenen aus Filmen in den Sinn – wie Leute eine Höhle betraten und dort die Knochen derjenigen fanden, die den Weg ins Freie nicht mehr gefunden hatten.
Sie hätte Zeichen an die Wände malen oder eine Spur aus Brotkrumen streuen sollen – irgendetwas. Wie oft war sie abgebogen? Einmal rechts, dann die Gabelung. Oder war es zweimal rechts gewesen?
Keine Sorge. Ich zeige dir den Weg , erklang Garys Versprechen als leises Säuseln in ihrem Ohr.
Urplötzlich hatte sie keinen Boden mehr unter den Füßen. Sie stürzte und schlug sich das Knie und den linken Ellbogen auf. Die Taschenlampe fiel ihr aus der Hand und ging aus.
»Scheiße!«, keuchte sie.
Sie tastete nach der Taschenlampe und schaltete sie ein, um ihre Verletzung zu begutachten. Gott sei Dank, sie funktionierte noch. Ihre Jeans hatten ein Loch, die Haut am Knie war aufgeschürft und blutete, doch insgesamt sah es nicht allzu schlimm aus. Sie leuchtete mit der Taschenlampe umher, um festzustellen, wo sie sich befand.
Sie war in einer kleinen Felskammer mit runden Wänden gelandet. In der Mitte war eine Feuerstelle mit halb verkohlten Zweigen. Der Boden bestand aus Stein, Erde und Geröll. An den Wänden sah sie Bilder und Worte, die teils mit Holzkohle, teils mit rotbrauner Farbe (oder war es Blut?) gemalt worden waren. Primitive Zeichnungen von Menschen, die sich aus ihren Gräbern erhoben, um ins Land der Lebenden zurückzukehren.
SCHLAFENDER ERWACHE , stand mindestens einhundert Mal an den Wänden geschrieben.
»Hier ist es«,
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