Winterfest
Christine Thiis.
»Ja. Er hat einen Bauchschuss, aber gleichzeitig waren die Schläge gegen den Kopf vermutlich tödlich. Ich komme auf drei Schläge. Wenn man von den Blutspritzern an den Wänden im Flur ausgeht, sieht es so aus, als hätte er zwei Schläge abbekommen, während er stand, und einen letzten, kräftigeren Schlag, nachdem er in die Knie gegangen war.« Der Kriminaltechniker trank einen Schluck aus der Tasse. »Habt ihr Thomas R ø nningen erreicht?«, fragte er.
William Wisting schüttelte den Kopf. »Direkt vor der Besprechung hatte ich es noch mal versucht. Ich werde einen Wagen zu ihm nach Hause schicken.«
»Ich glaube, er war draußen in seiner Hütte und hat an einem Buch geschrieben.«
»Einem Buch?«
»Ja, auf dem Fußboden im Wohnzimmer liegen Papierseiten. Sieht aus wie ein Buchmanuskript.«
»Wovon handelt es?«, wollte Christine Thiis wissen.
Espen Mortensen zuckte mit den Schultern. »Du kannst sie lesen, wenn wir sie eingesammelt haben«, schlug er vor. »Es waren nicht sehr viele Seiten, aber es sah aus wie eine Art Dokumentarroman oder so was. Es standen ein paar bekannte Namen drin.«
Wisting setzte die Besprechung fort. Nach einer knappen Stunde waren sie fertig. Die Ermittler verließen eilig den Raum, um sich auf die ihnen zugeteilten Arbeitsaufgaben zu stürzen.
Wisting hielt Espen Mortensen zurück. »Dieses Manuskript«, sagte er und erinnerte sich, dass er selbst ein paar ausgedruckte Seiten in R ø nningens Hütte gesehen hatte. »Was für Namen werden darin erwähnt?«
Espen Mortensen setzte sich wieder. »Prominente«, erwiderte er. »Sieht so aus, als handelt es sich um Leute, die bei ihm in der Sendung waren. Schauspieler, Musiker und Politiker. Wieso?«
Wisting antwortete nicht. Er sah nachdenklich aus dem Fenster.
Draußen wurde es langsam hell.
10
Wisting legte den Telefonhörer auf, nachdem er die Kollegen in Bærum gebeten hatte, bei Thomas R ø nningen vorbeizufahren und nach dem Rechten zu sehen.
Etwas an diesem Fall beunruhigte ihn. Er war sich nicht sicher, was genau, aber es war mehr als die übliche nagende Unsicherheit am Beginn einer Ermittlung. Dem Fall hier haftete etwas Kühles und Kalkuliertes an, aber gleichzeitig etwas, das von Verzweiflung oder Verwirrung zeugte.
Wisting zwang sich, optimistisch zu denken. Immerhin waren sie gut in Gang gekommen. Sie hatten viele lose Enden, die es aufzunehmen galt, aber sie würden sich zu etwas Festem verweben. In einem Tötungsdelikt mit unbekanntem Täter zu ermitteln, war, als pulte man am Etikett einer Bierflasche. Das löste sich nie in einem Stück ab, sondern immer nur in kleinen Fetzen. Trotzdem gehörte ein Fall wie der, an dem sie jetzt arbeiteten, zu denen, die am einfachsten zu lösen waren. Er zeichnete sich dadurch aus, dass nichts geplant war. Eine Handlung löste die nächste aus, und alles, was danach geschah, war eine Art Dominoeffekt. Die Ermittlung folgte demselben Muster. Es ging nur darum, die auslösende Handlung zu finden, dann ging der Rest wie von selbst. Er wusste nicht, was es war, aber er suchte danach, während er sich durch den Stapel von Berichten las.
Nach einer Stunde erhob er sich vom Schreibtisch und ging in den Besprechungsraum. Er goss sich eine Tasse Kaffee ein, nippte daran und trat ans Fenster. Die Presseleute waren bereits da. Sie standen in Gruppen unten auf dem gepflasterten Platz vor dem Polizeipräsidium und warteten darauf, eingelassen zu werden und sich einen guten Platz zu sichern.
Wisting sah auf die Uhr. Christine Thiis hatte ihn und den Stationschef gebeten, eine halbe Stunde vor der Pressekonferenz für eine letzte Abstimmung zu ihr ins Büro zu kommen. Bis dahin waren noch fünf Minuten Zeit, also ging er zurück in sein Zimmer und begann, seine Notizen einzusammeln.
Das Telefon auf dem Schreibtisch klingelte. Wisting nahm den Hörer im Stehen ab.
»Anders Hoff-Hansen, Rechtsmedizin«, sagte eine forsche Stimme. »Wo bleibt die Leiche?«
»Wie bitte?«
»Ich kann nicht länger warten. Asbj ø rn Olsen von der ID-Gruppe bei Kripos ist auch hier. Ich habe ein Fax erhalten mit der Bitte um rechtsmedizinische Untersuchung, aber keine Leiche.«
»Sind Sie sicher?«, fragte Wisting und hatte die Fernsehbilder vor Augen, in denen der Leichenwagen des Bestattungsinstituts vom Tatort wegfuhr. »Die hätte schon vor Stunden bei Ihnen eintreffen müssen.«
»Ich bin mir sicher.«
Wisting rechnete rasch im Kopf. Die Leiche war kurz vor fünf Uhr morgens
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