Winterfest
sagte er und machte die gleiche Handbewegung wie im Fernsehen, wenn er zu einem neuen Gesprächsthema überleiten wollte. »Ihr Job ist doch bestimmt ganz schön schwierig«, fuhr Thomas R ø nningen fort. »Anspruchsvoll. Ist es so?«
»Das ist das Interessante daran.«
»Es fasziniert mich, wie fähige Ermittler wie Sie es schaffen, Zusammenhänge zu sehen, für die andere blind sind.«
Wisting begriff, warum die Gäste sich in Thomas R ø nningens Gegenwart wohlfühlten und sich öffneten. Er empfand sich ganz selbstverständlich als Mittelpunkt und Hauptperson, aber gleichzeitig gelang es ihm, seine Aufmerksamkeit auf die Person zu richten, mit der er sich unterhielt. Redegewandtheit und Charme sorgten für eine gute Atmosphäre. Es war eine Form von Charisma, die man nicht lehren und nicht lernen konnte. Dennoch wirkte das, was er sagte, eher wie ein Ablenkungsmanöver, um etwas anderes zu überdecken, und nicht unbedingt wie eine ehrliche Meinung.
»Wo waren Sie gestern Abend und heute Nacht?«, fragte Wisting, ohne auf das Gespräch einzugehen, das der bekannte Moderator ihm anbot.
Thomas R ø nningen lächelte und wechselte wieder die Sitzhaltung. »Sie würden vielleicht denken, dass ich das beste Alibi der Welt habe, eine Million Fernsehzuschauer; aber in Wirklichkeit ist das, was alle auf dem Bildschirm sehen, eine Aufzeichnung. Die Sendung wird am Nachmittag aufgenommen, jedoch ungeschnitten gesendet.«
»Wo waren Sie also?«
»Zu Hause. Allein.«
»Wir haben versucht, Sie anzurufen, und heute Morgen sogar einen Streifenwagen zu Ihnen geschickt.«
Thomas R ø nningen nickte. »Ich habe alles abgestellt«, sagte er. »Handy, Türklingel, Fernseher. Alles. Ich war gegen sieben zu Hause und habe geschrieben. Bis fast fünf Uhr, dann bin ich ins Bett gefallen. Als ich aufstand, habe ich das Handy eingeschaltet, die Nachrichten gelesen und Sie angerufen.«
Wisting überlegte, welche Möglichkeiten es gab, das Alibi zu überprüfen. Falls er an einem PC gesessen hatte, der in ein Heimnetzwerk eingebunden war, würde es den Datenverkehr protokolliert haben. Er beließ es dabei und stellte noch einige weitere Routinefragen. Das lange Gespräch vermittelte ihm ein etwas anderes Bild von dem Mann als das, was er aus dem Fernsehen kannte. R ø nningen hatte etwas Aufgesetztes und Gekünsteltes an sich, das auf dem Bildschirm nicht so wirkte.
Er begleitete seinen Gast hinaus. Der Nieselregen machte das Licht der Straßenlaternen matt. »Wohin fahren Sie jetzt?«, fragte Wisting.
Thomas R ø nningen zog den Reißverschluss seiner Jacke zu und steckte die Hände in die Taschen. »Ich dachte, ich fahre zu meiner Hütte und sehe mir die Sache an. Meinen Sie, das lässt sich machen?«
»Es sind immer noch Kriminaltechniker dort. Die werden Sie sicher nicht hineinlassen.«
»Ich fahre mal vorbei und anschließend nach Hause.«
Sie verabschiedeten sich mit Handschlag. Thomas R ø nningen stieg in sein Auto und fuhr rückwärts aus der Einfahrt.
Wir kommen nicht weiter, dachte Wisting in einem Anfall plötzlicher Resignation. Wir treten auf der Stelle und wissen nicht mal, wonach wir eigentlich suchen. Wir befinden uns in einem einzigen großen Vakuum.
18
Um 21.57 Uhr ging die Ermittlung in ihren zweiten Tag. Wisting beendete seinen Dienst damit, dass er die Ermittler zu einer Besprechung zusammenrief. Er fasste die Hauptzü ge der Entwicklung zusammen, die der Fall genommen hatte. Er war müde. Die Sätzen rutschten ihm sozusagen aus dem Mund – wenig durchdacht, aber inhaltsschwer.
»Der Tatort«, sagte er stichwortartig zu Espen Mortensen, nachdem er mit seiner Zusammenfassung fertig war.
Der Kriminaltechniker schaltete den Projektor ein. »Der Fußabdruck ist das bisher Interessanteste«, meinte er und zeigte ihnen Bilder von blutigen Fußspuren, die in Richtung Eingangstür führten. Das Profil der Sohlen zeichnete sich deutlich im schräg darauf gerichteten Licht ab. »Interessant deshalb, weil sie durch Blut führen und von der Person stammen müssen, die zuletzt im Haus war.«
»Schuhtyp?«
»Wir arbeiten dran, vorläufig wissen wir nur, dass es Freizeitschuhe in Größe vierundvierzig sind.«
Das nächste Bild war selbsterklärend. Mehrere Fingerabdrücke waren an der Tür gefunden worden.
»Das Opfer hatte Handschuhe an und wir wissen nicht, ob sie dem Besitzer der Hütte oder einem seiner Besucher gehören. Die Registersuche läuft.«
Espen Mortensen klickte weiter und auf der Leinwand
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