Winterfest
Tür einen Spalt geöffnet.
»Die Sache entwickelt sich vermutlich in eine gefährliche Richtung«, erklärte Malm leise.
Wisting zog die Tür zu.
»Muller steht unter starkem finanziellem Druck. Die europäischen Hintermänner machen ihn für den Verlust und für den Tod eines der Kuriere verantwortlich. Sie verlangen fünf Millionen.«
»Was hat Muller vor?«
»Er trommelt gerade Leute für einen Raubüberfall zusammen.«
»Einen Raubüberfall?«
»Damit hat er angefangen. Mehrere Überfälle auf Werttransporte Ende der Neunzigerjahre. In den letzten zehn Jahren hat er sich vorwiegend durch Drogenhandel finanziert, aber die alten Kontakte bestehen immer noch.«
»Was will er überfallen?«
Leif Muller zuckte mit den Schultern. »Das wissen wir noch nicht. Unsere Quelle arbeitet daran, aber es kursieren schon lange Gerüchte, dass ein größerer Coup geplant ist, fast so was wie Nokas, nur dass bisher niemand bereit war, das Risiko einzugehen.«
Wisting schloss die Augen. Das war wie ein Teufelskreis. Die Beteiligten wurden in eine Spirale aus immer schwereren Verbrechen hineingesogen. Je tiefer sie hineingerieten, desto schwieriger wurde es für die Polizei, sie zu stoppen.
39
Der Direktflug nach Vilnius startete pünktlich auf die Minute. Wisting und Martin Ahlberg saßen in der zehnten Reihe, zwischen sich einen leeren Sitz.
Die Maschine war nur halb voll. Die meisten der Passagiere schienen litauische Gastarbeiter auf dem Heimweg zu sein, aber es war auch eine Handvoll norwegischer Geschäftsleute im Anzug und mit Börsenzeitungen auf dem Schoß darunter.
In der Reihe schräg gegenüber saß eine junge Frau und blätterte in der jüngsten Ausgabe von Se og H ø r. Bei einem großen Foto von Thomas R ø nningen hielt sie inne. Wisting konnte von seinem Sitz aus die Überschrift lesen. Unbekannter Mann in SEINEM Ferienhaus ermordet! Mehrere der Bilder, die den Artikel illustrierten, waren Archivfotos aus der Sommerreportage, auf denen R ø nningen zusammen mit bekannten NRK-Mitarbeitern abgebildet war.
Wisting wandte den Blick ab, lehnte sich zurück und versuchte, in Gedanken durchzugehen, was er über das Land wusste, zu dem er unterwegs war. Noch vor wenigen Tagen hatte er kaum sagen können, welcher von all den anderen baltischen Staaten auf der Landkarte Litauen war. Er wusste beschämend wenig über das Land, das nicht einmal zwei Flugstunden von Oslo entfernt war. Am Abend zuvor hatte er im Lexikon nachgeschlagen und gelesen, dass es im Norden an Lettland, im Osten an Weißrussland und im Süden an Polen grenzte. Einst war Litauen ein beeindruckendes Imperium gewesen, das sich von der Ostsee bis ans Schwarze Meer erstreckte. Ihn hatte überrascht, dass das Land nur 3,6 Millionen Einwohner hatte. Litauer waren mit einem unverhältnismäßig großen Anteil an den ausländischen Straftätern in der norwegischen Kriminalstatistik vertreten. Wenn man berücksichtigte, dass Litauens Nachbarland Polen fast vierzig Millionen Einwohner hatte, aber nur halb so viele Verurteilte in Norwegen, trat die Kriminalität in dem Land umso deutlicher hervor. Die Arbeitslosenrate von fast zwanzig Prozent und eine große Zahl von Menschen, die unter der Armutsgrenze lebten, trugen vermutlich einen Großteil der Schuld daran.
Die Landeshauptstadt Vilnius hatte fünfhundertachtzigtausend Einwohner und war reich an Geschichte.
Das litauische Staatsoberhaupt war ein Präsident, von dem Wisting noch nie etwas gehört hatte. Er hatte die Lexikoneinträge über Regierungsform und Volkswirtschaft des Landes überblättert, aber interessiert gelesen, wie die Polizei organisiert war. Soweit er verstanden hatte, gab es in dem Punkt keine gravierenden Unterschiede zu Norwegen.
»Wir haben um 14.00 Uhr einen Termin mit dem Polizeichef«, sagte Martin Ahlberg, als das Flugzeug seine Reisehöhe erreicht hatte. »Ins Hotel können wir hinterher einchecken.«
»Wie gehen wir vor?«, fragte Wisting. Er sprach leise, damit niemand in den umliegenden Sitzreihen sie hörte.
»Ich habe ihnen einen kurze Zusammenfassung geschickt und erklärt, dass wir wegen eines Tötungsdelikts mit der Familie von Darius Plater sowie drei weiteren litauischen Bürgern sprechen wollen, Teodor Milosz, Valdas Muravjev und Algirdas Skvernelis. Ich habe bereits eine Adressenliste und Auszüge aus dem Strafregister.«
Er holte einen Stapel Ausdrucke mit den Fotos der drei noch lebenden Mitglieder des Paneriai-Quartetts hervor.
»Du sagtest, Valdas
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