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Wintergeister

Wintergeister

Titel: Wintergeister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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Geschichte ehrte und an alten Traditionen festhielt, und wenn auch nur in einer Nacht des Jahres, gefiel mir.
    »Sie sagen, die Feier beginnt um zehn Uhr?«
    »Zehn Uhr, Monsieur, im Ostal. Das Gebäude ist nicht leicht zu finden, da im alten
quartier
so viele Straßen keine Namen haben und etliche Nebensträßchen heute Sackgassen sind. Aber ich könnte Ihnen eine Wegbeschreibung geben, falls Sie sich entscheiden zu kommen.«
    Ich hatte mich darauf gefreut, etwas zu essen und dann früh schlafen zu gehen. In fremder Gesellschaft fühlte ich mich nicht besonders wohl und war häufig schüchtern oder einsilbig.
    »Und ich würde auch wirklich nicht stören?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Sie wären höchst willkommen.« Nach kurzem Schweigen fügte sie hinzu: »Außerdem bekommen Sie hier im Haus heute Abend leider kein warmes Essen. Wir müssen alle ab sechs Uhr im Ostal mithelfen.«
    Ich lachte. »Damit ist die Sache entschieden. Ich nehme die Einladung gern an. Und auch Ihr Angebot einer Wegbeschreibung.«
    Sie strich sich die Schürze glatt und strahlte mich an, offensichtlich froh, dass alles geklärt war, und in dem Moment erinnerte sie mich frappierend an das lächelnde mütterliche Gesicht von MrsBun, der Bäckersfrau in meinem alten Quartettspiel »Happy Families«.
    »Wird Monsieur Galy auch dabei sein?«
    Das Lächeln verschwand von ihrem Gesicht. »Er verträgt die Nachtluft nicht«, sagte sie leise. »Die Kälte kriecht ihm in die Knochen.«
    Sie legte den Schlüssel auf den Tisch und fügte jetzt wieder in ihrem forschen sachlichen Ton hinzu: »Das Badezimmer ist am Ende des Ganges rechts. Ich lasse Ihnen ein Bad einlaufen und kümmere mich dann um das Feuer und Ihre Kleidung.«
    »Vielen Dank.«
    »Benötigen Sie vielleicht sonst noch etwas?«
    »Nein danke.«
    Sie nickte.
»Alors, à ce soir!«
    Nachdem sie gegangen war, zog ich meine Stiefel und die feuchten Socken aus, von denen mir allmählich die Füße juckten. Dann leerte ich meine Taschen. Ich legte Schlüssel, Zigarettenetui, Streichhölzer und Portemonnaie auf die Kommode. Dann setzte ich mich an den Schreibtisch, auf dem einige Bogen Briefpapier sowie ein ziemlich altertümlicher Federhalter mit einer kratzigen Feder bereitlagen. Das Tintenfass war wider Erwarten gefüllt. Das Papier hatte keinen Briefkopf, daher schaute ich mich nach irgendeiner offiziellen Notiz um, die mir die genaue Anschrift der Pension verraten könnte. An der Tür hing ein Zettel, der dem Gast erklärte, wie er sich im Falle eines Brandes zu verhalten habe, aber sonst nichts. Letztlich schrieb ich einfach c/o M & Mme Galy , La Place De L’ Église , Nulle , Ariège , und beließ es dabei. Ich war sicher, dass diese Angaben ausreichten und eine eventuelle Antwort problemlos hier ankommen würde.
    Ich schrieb rasch ein paar Zeilen, mit denen ich meinen Freunden mitteilte, dass ich Sie gern besuchen würde, falls sie mich noch erwarteten, und dass ich mich, da ich keine Ahnung hatte, wie lange die Reparatur meines Automobils dauern würde, in ein oder zwei Tagen wieder melden würde, um sie wissen zu lassen, wann sie mit meiner Ankunft rechnen konnten.
    Es gab kein Löschpapier, also schwenkte ich das Blatt in der Luft und pustete auf die Tinte, bis sie trocken war. Auch Umschläge fehlten, daher faltete ich den Brief dreimal, schrieb die Anschrift des Hotels meiner Freunde in Ax-les-Thermes auf die Außenseite und ließ ihn auf dem Tisch liegen, um ihn später mit nach unten zu nehmen.
    Ich entkleidete mich bis auf die Unterwäsche. Trotz meiner Erschöpfung war ich guter Dinge. Als ich das saubere Handtuch vom Fußende des Bettes nahm und mich auf die Suche nach dem Badezimmer machte, ertappte ich mich sogar dabei, dass ich vor mich hin pfiff.

Der Mann im Spiegel
    A ls ich nach einem langen heißen Vollbad zurück in mein Zimmer kam, brannte ein Feuer im Kamin und verbreitete den Duft von Pinienharz im ganzen Raum. Bei dem Geruch wurde mir wehmütig ums Herz, denn er erinnerte mich an die Winter meiner Kinderzeit in Sussex, wenn George in den Ferien von der Schule nach Hause kam.
    Madame Galy hatte mir eine Öllampe mit Messinggriff, rundem Dochtbrenner und gewölbtem Glaszylinder auf den Tisch gestellt. Außerdem war wie von Zauberhand ein Tablett mit einem Glas und einer dickwandigen Flasche auf der Kommode aufgetaucht.
    Es war alles sehr nett, gemütlich.
    Meine Hose war über einem hölzernen Wäscheständer drapiert, der schräg vor dem Kaminfeuer stand. Ich rieb

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