Wintergeister
Schwertern, umsprühte sie mit zuckenden Goldblitzen, wie Funken von einem Schmiedeamboss.
Einen Moment lang war es mucksmäuschenstill. Ich fragte mich kurz, ob jetzt der Unterhaltungsteil des Abends begann. Eine absurde und viel zu ernst angelegte Neuinszenierung der ursprünglichen, längst vergangenen
fête de Saint-Étienne
, wie die Kostüme oder die traditionellen Gerichte oder der Troubadour und seine
vielle
.
Dann schrie eine Frau auf, und ich wusste, dass es das nicht war. Panik griff um sich. Mein rüder Tischnachbar sprang hastig auf und stieß mir dabei einen Ellbogen in die Seite. Ich fiel gegen Fabrissa und spürte, wie ihr volles Haar kurz meine Haut streifte, ein zarter Duft nach Lavendel und Apfel.
»Freddie«, flüsterte sie.
Eine kleine Gruppe von Männern versuchte, die Bewaffneten aus dem Saal zu drängen. Manche schwangen Jagdmesser, die sie aus Scheiden an ihren Gürteln gezogen hatten. Andere schnappten sich alles, was als behelfsmäßige Waffe in Frage kam: Holzscheite, Feuereisen, sogar den schweren Spieß, auf dem das Fleisch serviert worden war.
Die Klingen sausten und durchschnitten die Luft, prallten aber nie aufeinander. Es war ein ungleicher Kampf, denn obwohl die Eindringlinge durch ihre schwere Bewaffnung im Vorteil waren, sahen sie sich doch mit einer gewaltigen Überzahl konfrontiert. Die Menge tobte jetzt und drängte als eine gewaltige Masse aus Armen und Beinen vorwärts. Ein Schrei ertönte, das Tor sollte verbarrikadiert werden. Die Stimmung war brenzlig, drohte aus dem Ruder zu laufen. Ich wollte nicht, dass Fabrissa in das Geschehen mit hineingerissen wurde.
Und trotz der Strapazen des Tages, trotz der Tatsache, dass es gewiss schon weit nach Mitternacht war, fühlte ich mich schlagartig quicklebendig. Entschlossen. Adrenalin rauschte durch meine Adern. Diesmal würde ich nicht kneifen.
Ich griff nach Fabrissa. »Wir müssen hier weg.«
»Bist du sicher?«
Ihr Tonfall war ernst, als ob mein doch naheliegender Vorschlag irgendeine tiefere Bedeutung beinhaltete, die den gesunden Menschenverstand überstieg. Ich nahm ihre Hand. Eine heftige Hitze jagte mir durch die Adern, trug das Singen in meinem Blut bis ans untere Ende meiner Wirbelsäule. Ich schien über mich hinauszuwachsen. Ich fühlte mich zu allem fähig.
»Komm! Du musst hier raus!«
Schaffte ich es, das Lächeln aus meinem Gesicht zu verbannen? Im Rückblick bin ich sicher, dass es mir nicht gelang, denn endlich war meine Stunde gekommen. Mein ganzes Leben lang war ich immer der Zweitbeste gewesen. Nie der Richtige für eine Aufgabe. Nicht unbesiegbar.
Nicht George.
In jener Nacht war das anders. Fabrissa hatte Vertrauen in mich gesetzt. Hatte mich erwählt. Das war ein Geschenk, auf das ich nie zu hoffen gewagt hatte. Und selbst jetzt noch, über fünf Jahre später und im Lichte all dessen, was danach geschah, ist mir der Rausch dieses Augenblicks noch immer gegenwärtig.
»Gibt es einen anderen Weg nach draußen?«
Sie zeigte in die hinterste Ecke des Saales.
Die Soldaten waren zurückgetrieben worden, doch jetzt kämpften überall diejenigen mit gelbem Kreuz gegen diejenigen ohne gelbes Kreuz. Es kam mir vor, als würde ich die Szene von oben beobachten, losgelöst und zugleich mitten im Geschehen. Ich zog Fabrissa mit mir und stürzte mich in das Gedränge von Körpern, kämpfte gegen den Strom. Wir rannten, sie und ich, schwerfällig Hand in Hand.
»Da durch?«, fragte ich mit lauter Stimme, damit sie mich hören konnte. Ich hatte eine kleine Tür in der Wand erspäht, halb versteckt hinter einer Pyramide aus Holzstühlen und einer schweren Truhe mit Schloss und Metallbändern.
Sie nickte. »Sie führt in einen unterirdischen Gang, unter dem Ostal durch.«
Mit einer Kraft, die ich mir gar nicht zugetraut hätte, wuchtete ich die Truhe beiseite und warf die Stühle aus dem Weg, als wären sie aus Pappe.
Hatte ich Angst? Ich hätte welche haben sollen, ganz bestimmt, aber ich glaube, ich hatte keine. Stattdessen erinnere ich mich bis heute an meine unbeirrte Entschlossenheit, Fabrissa in Sicherheit zu bringen. Ich zog den Riegel zurück und drückte die Tür mit flachen Händen weit genug auf, um hindurchschlüpfen zu können. Wir zogen den Kopf ein und tauchten unter dem niedrigen Türsturz in die Dunkelheit.
Der Gang führte über flache Stufen nach unten. Sie waren in der Mitte ausgetreten, und ich fasste Fabrissas Hand noch fester, damit sie nicht stürzte, falls sie ausglitt. In dem
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