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Wintergeister

Wintergeister

Titel: Wintergeister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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Saal über uns hörte ich Frauen schreien und Männer Anweisungen brüllen und Kinder weinen. Das Geräusch von splitterndem Holz und das Klirren von Metall auf Metall. Dann schlug die Tür hinter uns dumpf zu, und Stille umhüllte uns.
    Ich eilte vorwärts, war aber gezwungen, meine Schritte zu verlangsamen, denn ich konnte mir keine richtige Vorstellung von den Dimensionen des Tunnels machen. Zumindest war die Luft trocken, nicht feucht, und der Geruch erinnerte mich an Kathedralen und Katakomben, an all die geheimen Orte, die seit langen und staubigen Jahren der Vergessenheit anheimgefallen waren. Ein Spinnennetz legte sich mir übers Gesicht, über Mund und Augen. Ich spuckte die filigranen Fäden weg, doch das Gefühl blieb.
    »Soll ich vorangehen?« Ihre Stimme war leise in der Dunkelheit. »Ich kenne den Weg.«
    Ich drückte ihre Hand, um ihr zu signalisieren, dass es mir lieber wäre, wenn ich vorne bliebe, und spürte, wie sie den Druck erwiderte. Ich lächelte.
    »Wo endet der Tunnel?«
    »Auf dem Berghang westlich des Dorfes. Es ist nicht weit.«

Das gelbe Kreuz
    W ir stolperten durch die Dunkelheit. Nach dem anfänglichen Abstieg verlief der Tunnel schon bald eine Weile eben weiter und stieg dann langsam wieder an. Mein Atem ging keuchend und stoßweise, und vom Schweiß, der mir auf Schläfen und Wangen ausgebrochen war, brannte die Wunde.
    Ich konzentrierte mich darauf, nicht zu straucheln. Man konnte die Hand nicht vor Augen sehen. Zuweilen schien die Decke des Tunnels fast meinen Kopf zu streifen, und die Wände waren so nah, dass ich sie berühren konnte, aber ich hatte kein Gespür dafür, wo wir waren. Fabrissa wirkte dagegen unverändert. In dieser klaustrophobischen Umgebung schien sie weder zu ermüden noch außer Atem zu geraten.
    So bewegten wir uns weiter, immer weiter durch die unterirdische Welt, bis die Atmosphäre sich allmählich veränderte. Der Gang wurde noch steiler, und ich spürte einen Hauch frische Luft im Gesicht.
    Auf einmal stieg der Boden jäh an. Vor uns nahm die Finsternis eine graue Tönung an. Mondlicht schimmerte nadelfein durch die Umrisse einer kantigen Form, die aussah wie eine Tür am Ausgang des Tunnels.
    Ich stieß einen Seufzer der Erleichterung aus.
    »Da ist ein Messingring«, sagte Fabrissa. »Die Tür geht nach innen auf.«
    Ich fuhr wie ein Blinder mit den Fingern über das glatte Holz, bis ich den Ring ertastete. Er war kalt und ließ sich kaum bewegen. Ich packte ihn mit beiden Händen und zog. Die Tür bewegte sich keinen Zoll. Ich stemmte die Füße weiter auseinander und versuchte es erneut. Diesmal spürte ich den Widerstand in den Angeln, aber noch immer gab die Tür nicht nach.
    »Könnte sie von außen verriegelt sein?«
    »Ich glaube nicht. Aber dieser Fluchtweg ist schon sehr lange nicht mehr benutzt worden.«
    Ich hatte keine Zeit, mich zu fragen, was sie damit meinte. Ich machte einfach weiter, zog gleichmäßig, um dann mehrmals kräftig und ruckartig zu zerren, bis endlich ein lautes Krachen ertönte und das Holz um die Angeln splitterte.
    »Gleich haben wir’s«, sagte ich und zwängte meine Finger in den Spalt zwischen Tür und Einfassung.
    Fabrissa schob ihre Hände unter meine, und gemeinsam zerrten und rissen wir, bis wir schließlich ganz unverhofft draußen in der kalten Nachtluft waren. Hinter uns hing die Tür lose in den Angeln. Sie erinnerte mich an den Eingang zu einer alten Kupfermine, den George und ich einmal während verregneter Augustferien in Cornwall entdeckt hatten. Er hatte natürlich hineingehen wollen, aber ich war zu ängstlich gewesen.
    Andere Zeiten, andere Orte.
    Ich drehte mich zu Fabrissa um, die ganz still in dem matten weißen Mondlicht stand.
    »Wir haben’s geschafft«, keuchte ich und rang um Atem.
    »Ja«, sagte sie leise. »Ja, wir haben es geschafft.«
    Wir standen auf einem kahlen Flecken Erde auf halber Höhe eines Hanges westlich des Dorfes. Mir wurde klar, dass ich mich am vorangegangenen Nachmittag Nulle von der gegenüberliegenden Seite genähert hatte. Mir schwindelte, ich war wie berauscht von der Nachtluft, von dem, was uns gelungen war, von Fabrissa.
    Dann verspürte ich Gewissensbisse, die ich nicht missachten konnte.
    »Ich muss zurück. Ich muss irgendwas tun. Helfen. Vielleicht gibt es Verletzte.«
    Sie seufzte. »Es ist schon vorbei.«
    »Das können wir doch nicht wissen.«
    »Alles ist still«, sagte sie. »Hör! Schau!« Sie zeigte hinunter auf das Dorf. »Alles ist ruhig.«
    Ich blickte

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