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Wintergeister

Wintergeister

Titel: Wintergeister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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hinüber. Ich fragte mich, ob Fabrissa wohl in dieselbe Nacht hinausschaute. Ich hatte ihr das Wenige von mir, das ich zu geben hatte, zu Füßen gelegt und doch gehofft, dass sie mich lieben könnte. Hatte ich sie abgeschreckt? Lag sie jetzt wach in der Dunkelheit und dachte an mich, so wie ich an sie dachte?
    Ein Streifen Mondlicht stahl sich durch die Fensterläden und malte eine Linie auf den Boden. Ich sah die Mondstrahlen tanzen und langsam dahinwandern, während die Stunden vergingen und die Welt sich weiterdrehte. Ich überlegte, was ich Fabrissa sagen würde, wenn ich sie fand. Dachte an die Schönheit der kleinen Dinge. An den Anblick eines sich mit schlagenden Flügeln in die Luft schwingenden Vogels. An die blauen Blüten des Flachses im Sommer und eine mit Ackerfrüchten geschmückte Pfarrkirche zur Erntezeit. An Noten, die eine chromatische Tonleiter hinaufperlen. An die Möglichkeit der Liebe.
    Irgendwann schlief ich ein. Und diesmal schlief ich traumlos.
     
    Als ich wieder erwachte, war es Morgen. Madame Galy war fort. Der Stuhl stand wieder an der Wand, als wäre er nie verrückt worden. Körperlich war ich erschöpft, aber ich fühlte mich gut – so gut wie schon lange nicht mehr. Und ich war hungrig wie ein Wolf.
    Ich setzte mich auf, überlegte, ob ich aufstehen oder noch ein Weilchen warten sollte. Ich wusste nicht, wie spät es war. Als ich gerade beschlossen hatte, mich zu waschen und anzuziehen, klopfte es leise an der Tür.
    »Herein.«
    Madame Galy trat ein. Sie hatte mein frisch gewaschenes Hemd über dem Arm und trug ein Frühstückstablett.
    »Ich habe Ihnen etwas zu essen gebracht«, sagte sie.
    Ich lächelte und strich die Decke glatt. »Das ist sehr freundlich von Ihnen. Ich habe heute Morgen einen richtigen Appetit.« Es rührte mich, wie sie sich im Zimmer mit irgendwelchen Kleinigkeiten beschäftigte, während sie unauffällig darauf achtete, dass ich auch wirklich alles bis auf den letzten Bissen aufaß. Geröstetes Brot, Räucherschinken und ein perfekt in zwei Hälften geschnittenes Ei. Als ich ihr für die lange Nachtwache danken wollte, wehrte sie ab. Aber ein rosa Hauch stieg in ihr unscheinbares Gesicht, und ich sah ihr an, dass sie sich freute.
    »Ihr Brief wurde gestern Nachmittag zu Ihren Freunden nach Ax gebracht, Monsieur. Der Junge kann morgen noch mal hingehen, sobald Sie wissen, was mit Ihrem Auto wird.«
    »Vielen Dank.« Ich wischte mir die Hände an der Serviette ab. »Sie sagten, es gibt da jemanden, der mir helfen könnte?«
    Sie nickte. »Michel Breillac und seine Söhne werden um zehn Uhr hier sein.«
    »Wie spät haben wir es jetzt?«
    »Kurz vor neun.«
    »Prächtig. In einer Stunde bin ich fertig.«
    Sorge huschte Madame Galy über das Gesicht, als ihr klar wurde, dass ich vorhatte, die Breillacs zu begleiten.
    »Monsieur, ich halte das für unklug, nach dem, was Sie letzte Nacht durchgemacht haben. Draußen hat es kaum null Grad. Beschreiben Sie Monsieur Breillac doch einfach, wo Ihr Auto ist, und überlassen Sie alles andere ihm! Er ist ein tüchtiger Mann.«
    Heute erscheint es mir geradezu unerklärlich, dass ich nach dem schweren Fieber überhaupt in Erwägung zog, eine solche Wanderung auf mich zu nehmen. Doch ich glaubte tatsächlich, dass ich nach dem Delirium gestärkt war, neue Kräfte gefunden hatte. Ich fühlte mich belebt und so gesund an Geist und Körper wie schon lange nicht mehr.
    »Ich bin völlig wiederhergestellt«, sagte ich lächelnd. »Wirklich in Bestform.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Sie sollten sich lieber noch einen Tag schonen. Sie könnten sich überanstrengen.«
    »Das geht schon«, sagte ich mit Nachdruck.
    Natürlich ging es mir nicht in erster Linie darum, die Bergung meines armen kleinen, auf der Bergstraße gestrandeten Wagens zu überwachen. Madame Galy hatte meine Frage, ob sie Fabrissa kenne, verneint, also musste ich irgendwen finden, der sie kannte. Und das gelang mir nicht, indem ich in der Pension Däumchen drehte.
    »Wenn Sie meinen, Monsieur«, sagte sie, obwohl ich ihr ansah, dass sie mich für töricht hielt. »Zehn Uhr.«
    Nachdem sie gegangen war, schlug ich die Decke zurück und stieg aus dem Bett. Die Dielenbretter unter meinen nackten Füßen waren eiskalt, aber der Boden schwankte nicht mehr. Ich klatschte mir kaltes Wasser ins Gesicht und tat mein Bestes, um mein widerspenstiges Haar zu bändigen. Ich fuhr mir mit einer Hand über das kratzige Kinn und bedauerte, kein Rasiermesser zur Hand zu haben.

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