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Wintergeister

Wintergeister

Titel: Wintergeister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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seltsam tröstlich, alltäglich. Ich sank zurück in die Kissen.
    Außer bei George hatte ich bis dahin immer geglaubt, dass Liebe gleichbedeutend mit Unterwerfung war. Damit, sich einem machtvollen Gefühl hinzugeben, die Kontrolle zu verlieren. Jetzt kam mir Liebe ganz natürlich vor, wie etwas, über das man nicht mal reden muss, wie Atmen oder wie wenn man an einem Sommertag das Gesicht in die Sonne hält.
    Fabrissa … Gleich einem Kinderlied ging mir ihr Name unaufhörlich durch den Kopf. Fabrissa. Das Wort kreiste und wirbelte in mir und zog meine Nerven immer fester zusammen.
    »Wo bist du?«
    Ich merkte, dass ich die Frage laut ausgesprochen hatte, doch das machte nichts. Es war ja niemand da, der mich hörte.
    »Ich werde dich finden«, murmelte ich und schlummerte ein, ihren Namen noch auf den Lippen.
    Madame Galys Wache
    I ch schlief den ganzen Tag bis in den Abend hinein. Oder besser gesagt, ich dämmerte mehr oder weniger vor mich hin. Ich registrierte, dass Leute kamen und gingen, Gestalten, verschwommene Gesichter, Holz wurde gebracht, ein Streichholz entzündet, das Dienstmädchen, das Feuer im Kamin machte.
    Nur zweimal wurde ich richtig wach. Das erste Mal, als Madame Galy einen Teller Suppe und Brot neben mein Bett stellte und wartete, bis ich alles aufgegessen hatte. Das zweite Mal, als sie zurückkam, um mir eine zweite Dosis von der bitteren weißen Arznei zu verabreichen. Irgendeine alte traditionelle Medizin? Ich wusste es nicht, und es war mir auch egal.
    »Wie viel Uhr ist es?«
    »Spät«, antwortete sie und legte mir eine kühle Hand auf die Stirn. Ich kam gar nicht auf die Idee, sie zu fragen, warum sie sich so aufopferungsvoll um einen Fremden kümmerte. Sie fühlte sich in gewisser Weise für mich verantwortlich, weil ich ihr Gast war, das konnte ich nachvollziehen. Aber sie pflegte mich weit aufmerksamer, als es ihre Pflicht gewesen wäre.
    Madame Galys mütterliche Fürsorge konnte jedoch nicht verhindern, dass das Fieber schlimmer wurde. Irgendwann am Abend stieg meine Temperatur gefährlich an. Jeder Muskel, jede Sehne verkrampfte sich und versuchte, dagegen anzukämpfen, doch meine natürlichen Abwehrkräfte waren zu geschwächt, und ich konnte nur hilflos darauf hoffen, dass ich das Fieber irgendwie durchstehen würde.
    Meine Haut war abwechselnd glühend heiß und schweißklamm. Ich warf mich im Bett hin und her wie Treibgut auf sturmgepeitschter See, von Träumen und Wahnvorstellungen gepeinigt. Mal hörte ich ein Jahrmarktkarussell, mal »Für Elise« und mal einen Ragtimetakt, während mir Engel und Fratzen, geisterhafte Erscheinungen und längst vergessene Freunde durch den Kopf tanzten.
    Wie Madame Galy mir später erzählte, stand mein Befinden stundenlang auf des Messers Schneide, während meine Temperatur höher und höher stieg. Meine Vorstellung schwankte dabei zwischen Schönheit und Entsetzen hin und her. Eine skelettierte Hand, die sich aus frisch gepflügter Erde herausschob. Blüten, die am Zweig verwelkten. Die Hinterköpfe meiner Eltern, teilnahmslos und taub für mein Bedürfnis, von ihnen geliebt zu werden. George, der mich in einem Obstgarten am Fluss anlächelte, aber dann zurückwich, so dass ich ihn nicht erreichen konnte, und der sich abwandte, als ich nach ihm rief. Stacheldraht und Schlamm und Blut. Chlorgas, eine Welt unvorstellbaren Schmerzes.
    Gegen drei Uhr morgens ließ das Fieber nach. Ich spürte, dass es sich davonschlich wie ein Straßenköter mit eingekniffenem Schwanz. Meine Temperatur sank. Ich hörte auf zu zittern, und meine vom Fieber klebrige Haut fühlte sich wieder normal an. Zum ersten Mal seit Stunden fand ich mich von den beruhigend banalen Dingen der Alltagswelt umgeben. Ein Stuhl, meine Hose auf dem Wäscheständer, ein Tisch, das letzte Züngeln der Flammen im Kamin und Madame Galy, die leise schnarchend neben mir auf dem Stuhl saß. Graue Haarsträhnen hatten sich aus ihrem strengen Zopf gelöst, und ich bekam eine Ahnung von der hübschen jungen Frau, die sie einst gewesen war. Ich konnte mich nicht erinnern, dass meine eigene Mutter sich je so liebevoll um mich gekümmert hätte. Ohne Madame Galy aufzuwecken, streckte ich die Hand aus und legte sie kurz auf ihre.
    »Danke«, flüsterte ich.
    Dann senkte sich Frieden über das Zimmer. In dem still schlafenden Haus konnte ich das Surren und Schlagen der Uhr unten im Flur hören. Ich legte die Arme auf die Tagesdecke, ein steinerner Ritter auf einem Grabmal, und sah zum Fenster

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