Winterjournal (German Edition)
das Lesegerät am Eingang zur Subway ziehen, Knöpfe an Geräten drücken, morgens die Zeitung von der Treppe aufheben, die Bettdecke zurückschlagen, dem Zugschaffner die Fahrkarte zeigen, die Klospülung betätigen, deine Zigarillos anzünden, deine Zigarillos im Aschenbecher ausdrücken, die Hose anziehen, die Hose ausziehen, die Schuhe schnüren, Rasiercreme auf deine Fingerspitzen pressen, bei Theaterstücken und Konzerten klatschen, Schlüssel in Schlösser stecken, sich im Gesicht kratzen, sich am Arm kratzen, sich am Arsch kratzen, Koffer durch Flughäfen ziehen, Hemden auf Bügel hängen, den Hosenschlitz schließen, den Gürtel zuschnallen, das Jackett zuknöpfen, die Krawatte binden, mit den Fingern auf Tischen trommeln, Papier in dein Faxgerät einlegen, Schecks aus deinem Scheckheft reißen, Teeschachteln öffnen, Lampen anmachen, Lampen ausmachen, vor dem Zubettgehen dein Kopfkissen aufschlagen. Manchmal haben dieselben Hände Leute geschlagen (wie bereits erzählt), und drei- oder viermal, in Augenblicken großer Verzweiflung, haben sie auch gegen Wände geschlagen. Sie haben Teller auf den Boden geworfen, Teller auf den Boden fallen lassen und Teller vom Boden aufgehoben. Deine rechte Hand hat mehr Hände geschüttelt, als du jemals wirst zählen können, hat deine Nase geschnäuzt, deinen Hintern abgewischt und öfter zum Abschied gewinkt, als es Wörter im größten Wörterbuch gibt. Deine Hände haben die Körper deiner Kinder getragen, haben deinen Kindern den Hintern abgewischt und die Nase geschnäuzt, haben deine Kinder gebadet, haben deinen Kindern den Rücken gewaschen, haben die Tränen deiner Kinder getrocknet und deinen Kindern das Gesicht gestreichelt. Sie haben deinen Freunden, Arbeitskameraden und Verwandten auf die Schulter geklopft. Sie haben geschoben und gestoßen, Leuten vom Boden aufgeholfen, Leute, die ins Stolpern gerieten, am Arm festgehalten, Rollstühle von Leuten manövriert, die nicht gehen konnten. Sie haben die Körper von bekleideten und nackten Frauen berührt. Sie haben sich über die nackte Haut deiner Frau bewegt und ihren Weg bis in die letzten Winkel gefunden. Dort sind sie am glücklichsten, das spürst du, dort sind sie, seit dem Tag, an dem du sie kennengelernt hast, immer am glücklichsten gewesen, denn, um eine Zeile aus einem Gedicht von George Oppen abzuwandeln, manche der schönsten Orte der Welt liegen auf dem Körper deiner Frau.
Am Tag nach dem Autounfall im Jahr 2002 fuhrst du, um die Sachen deiner Tochter abzuholen, zu dem Schrottplatz, auf den man das Auto geschleppt hatte. Es war ein Sonntagmorgen im August, warm wie immer, leichter Nieselregen besprenkelte die Straßen, als ein Freund dich in irgendeine gottverlassene Gegend von Brooklyn kutschierte, ein Niemandsland aus verfallenden Lagerhäusern, unbebauten Grundstücken und zugenagelten Gebäuden aus Holz. Der Betreiber des Schrottplatzes war ein Schwarzer von Mitte sechzig, ein ziemlich kleiner Bursche mit langen Dreadlocks und klaren, ruhigen Augen, ein sanfter Rastaman, der über sein Reich von Autowracks wachte wie ein Hirte über eine Schar schlafender Schafe. Du erklärtest ihm, warum du gekommen warst, und als er dich zu dem glänzenden neuen Toyota führte, den du am Tag zuvor noch gefahren hattest, warst du entsetzt über das Ausmaß der Zerstörung, konntest nicht begreifen, wie du und deine Familie eine solche Katastrophe hattet überleben können. Unmittelbar nach dem Unfall hattest du zwar bemerkt, wie stark das Auto beschädigt worden war, aber der Aufprall hatte dich völlig durcheinandergebracht, du hattest noch gar nicht richtig verstanden, was dir widerfahren war, aber jetzt, einen Tag später, sahst du, die Karosserie des Wagens war so eingedrückt, dass sie aussah wie zerknülltes Papier. «Sehen Sie sich das an», sagtest du zu dem Rastaman. «Eigentlich müssten wir jetzt alle tot sein.» Er betrachtete den Wagen ein paar Sekunden lang, sah dir in die Augen und legte dann den Kopf nach hinten, während der feine Regen ihm ins Gesicht und auf die üppige Haarpracht fiel. «Ein Engel hat über Sie gewacht», sagte er mit ruhiger Stimme. «Gestern sollten Sie sterben, aber dann hat ein Engel seine Hand ausgestreckt und Sie in die Welt zurückgezogen.» Er sprach diese Worte mit solcher Gelassenheit und Überzeugung, dass du ihm fast geglaubt hast.
Wenn du schläfst, schläfst du tief und nahezu reglos, bis es Zeit ist, am Morgen aufzuwachen. Gelegentlich hast du
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