Winterkill
war eine lutherische Kirche, so verkündete das Schild über dem Eingang. Der verwinkelte Backsteinbau, ein Fachwerkhaus mit dunklen Balken, sah allerdings eher wie ein rustikales Landhaus aus.
Wenn sie zur Halsted Street wollte, musste sie an der Kirche vorbei. Der kaum sichtbare Weg dorthin war aufeiner Seite von weit ausladenden Bäumen gesäumt. Sie hielten das gelbe Licht der Straßenlampen ab und boten ihr eine willkommene Deckung. Nur ihre Fußspuren verrieten sie, doch die waren in dem Schneetreiben nicht zu sehen, schon gar nicht aus der Ferne.
Doch ihre Angst blieb, selbst dann, als sie im Schatten der Bäume untergetaucht war. Und als sie glaubte, die Umrisse des Escalade in einer der beiden Seitenstraßen zu erkennen, kehrte auch die Panik zurück. Sie würde es nicht bis zur Hauptstraße schaffen. Bis sie dort war, würden auch die Killer auftauchen und ihr den Weg versperren.
Ihr blieb nur die Kirche, dort konnte sie sich vielleicht verstecken – wenn die Tür nicht verschlossen war. Sie stapfte durch den tiefen Schnee zum Haupteingang, drückte die Klinke der schweren Holztür herunter und schickte ein Dankgebet zum Himmel, als sie sich öffnen ließ. Erleichtert betrat sie den Innenraum. Sie drückte die Tür zu, hoffte inständig, dass die Männer im Geländewagen sie nicht gesehen hatten.
Es dauerte eine Weile, bis sich ihre Augen an das Halbdunkel in der Kirche gewöhnt hatten. Sie war ebenso nüchtern eingerichtet wie das Gotteshaus in Grand Portage, aber wesentlich größer. Über dem mit Blumen geschmückten Altar leuchtete ein buntes Fenster. Im Licht einer Straßenlampe, die hinter der Kirche stand, leuchtete es geheimnisvoll. In der Kirche selbst gab es kein Licht, nicht einmal Kerzenschein, nur den flackernden Schein, der durch das bunte Fenster über dem Altar fiel.
Sie rieb sich den Schnee vom Gesicht und klopfte ihren Anorak ab. Auch in der Kirche war es kühl, aber die Wände hielten den böigen Wind ab und ließen den Raum beinahe behaglich erscheinen. Vielleicht lag es auch an dem nüchternen Holzkreuz, das auf dem Altar stand. Sarahwar lutherisch getauft und hatte das Symbol der Christen immer als Trost empfunden, obwohl sie auch in der Tradition ihres Volkes verwurzelt war und den Geisterglauben ihrer Vorfahren respektierte. Ihrer Meinung nach hatte jeder Glaube einen wahren Kern. Viel wichtiger erschien ihr jedoch, dass man die Natur respektierte, nicht nur die Menschen, auch Tiere und Pflanzen. Alles war Gottes Werk.
Sie ging durch die Stuhlreihen nach vorn und blieb vor dem Altar stehen. So wie vor der Gerichtsverhandlung vor zwei Jahren, als sie auch in der Kirche nach einer Antwort gesucht hatte. Viele Freunde und Bekannte hatten ihr damals abgeraten, gegen einen Mörder, vielleicht sogar einen Killer der Mafia auszusagen, aber ihr Gerechtigkeitsgefühl hatte am Ende gesiegt. Und die Erinnerung an ihren Vater, der gesagt hatte: »Glaube an dich, meine Tochter!«
Sie erwachte aus ihrer kurzen Andacht und blickte nervös zur Tür. Falls ihre Verfolger gesehen hatten, dass sie in die Kirche gegangen war, und ihr folgten, brauchte sie dringend ein Versteck. Zwischen den Stuhlreihen? Hinter dem Altar? Ihr Blick fiel auf die nassen Fußspuren, die sich deutlich sichtbar durch die Kirche zogen und unter ihren Füßen endeten. Nein, hier war sie nirgendwo sicher. Wenn die Killer in die Kirche kamen, brauchten sie nur den Spuren zu folgen. Panik ergriff sie. Die Männer konnten jeden Augenblick auftauchen. Noch einmal würden sie nicht auf einen Trick hereinfallen. Sie würden sofort schießen, und wenn sie ein Magazin leeren mussten, um sie in dem Halbdunkel zu treffen. Der Gedanke, ausgerechnet in einer Kirche zu sterben, ließ sie erschaudern.
Doch noch gab es Hoffnung. Links neben dem Altar war eine Holztür. Sie lief rasch darauf zu, öffnete sie und fand sich in einem fensterlosen Raum wieder. In demwenigen Licht, das durch die offene Tür fiel, erkannte sie einen Schreibtisch mit Computer, ein Regal mit Büchern und zwei Schränke. Offensichtlich das Büro des Pfarrers, in dem er seine Predigten schrieb und sich auf den Gottesdienst vorbereitete. Auf der anderen Seite befand sich ebenfalls eine Tür. Sie war verriegelt.
Sie zog rasch die Tür hinter sich zu und knipste das Licht an. Nur einen Moment verschwendete sie an den Gedanken, sich in dem Raum zu verbarrikadieren und die Polizei anzurufen. Zu spät, denn im gleichen Augenblick hörte sie, wie die Killer in die
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