Winterkill
zögerte, würde sie ihrem gewaltsamen Tod näher bringen. Ihre Tasche war weg, ihr Handy, ihr Geld, ihr Führerschein. Sie konnte die US Marshals nicht mal von einem Münztelefon anrufen, falls es so was überhaupt noch gab. Nicht mal einen Quarter hatte sie in ihrem Anorak.
Sie kämpfte verzweifelt gegen die Tränen an. Nur nicht gehen lassen, bloß nicht aufgeben. Wenn sie es schaffte, die Verfolger abzuhängen, konnte sie vielleicht einen Ladenbesitzer überreden, sein Telefon zu benutzen. Ihr Charme hatte ihr schon manches Mal aus einer Notlage geholfen.
Aber ihr blieb nicht mehr viel Zeit. Sobald die Killer ihren Wagen geholt hatten und neben dem Bus auftauchten, war sie verloren. Die beiden hatten sicher genug Tricks auf Lager, um sie unauffällig aus dem Bus zu holen.
Sie wischte die Feuchtigkeit vom Fenster und spähte nach draußen. Das Schneetreiben schien noch dichter und heftiger geworden zu sein. Mit unverminderter Wucht fegte der Wind durch die Straßen und brachte sogar den Bus zum Zittern. Es tauchten jetzt Räumfahrzeuge auf, einer der Trucks versperrte ihnen sekundenlang den Weg. Sie hatte schon Angst, die Verfolger würden jeden Moment um die Ecke kommen, aber auch sie kamen wohl nur langsam voran. Einen »ausgewachsenen Blizzard«, so nannte der nervöse Busfahrer den Schneesturm.
An der Division stieg Sarah aus. Sie humpelte bei Rot über die Straße, bevor der Bus weiterfuhr, und flüchtete in einen McDonald’s. Im warmen Lokal blieb sie stehen und blickte durch eines der großen Fenster auf die Kreuzung.
»Wie wär’s mit einem Big Mac und einem Kaffee?«, fragte einer der freundlichen Männer hinter dem Tresen. »Bei dem Wetter gibt es nichts Besseres.«
Sie hätte nichts gegen einen heißen Kaffee einzuwenden gehabt und wollte schon zusagen, als ihr einfiel, dass ihr Geld in der verlorenen Umhängetasche lag. »Nein, vielen Dank«, erwiderte sie.
Sie hastete aus dem Lokal, unglücklicherweise genau in dem Augenblick, als der Escalade mit den beiden Killern an der Ampel auftauchte. Starr vor Entsetzen blickte sie auf ihre Gesichter hinter der getönten Scheibe. In der Hoffnung, dass die Männer sie nicht gesehen hatten, machte sie auf dem Absatz kehrt und rannte davon. Stechender Schmerz durchzuckte ihren verstauchten Knöchel und ließ sie beinahe stolpern, doch sie biss die Zähne zusammen und rannte weiter, an den angrenzenden Wohnhäusern entlang.
Der aufheulende Motor des Escalade verriet ihr, dass ihre Hoffnung, die Killer könnten sie übersehen haben, vergebens war. In einer dichten Schneewolke fegte der Wagen über die rote Ampel und rammte beinahe einen Lieferwagen, der gerade noch ausweichen konnte. Der Geländewagen schlitterte bis zur Straßenmitte, dann griffen die Reifen und er schlitterte auf die Division.
Sarah sah den Wagen nur aus den Augenwinkeln, rechnete aber jeden Augenblick damit, dass er quer über die breite Straße fuhr und ihr den Weg abschnitt.
Genau das hatten die Männer auch vor, doch ein Linienbus, der mit aufgeblendeten Scheinwerfern aus demSchneetreiben kam, versperrte ihnen den Weg und verschaffte Sarah wichtige Sekunden. Sie nützte die Gnadenfrist und rannte noch schneller, suchte nach einer Gasse, in die sie verschwinden, einen Hauseingang, in dem sie untertauchen konnte. Doch auf ihrer Seite waren alle Türen verschlossen. Am Ende des Blocks lag der Seward Park, eine baumlose Grünanlage, in der es überhaupt keine Möglichkeit gab, sich zu verstecken. Nicht mal ein Cop war in der Nähe. Warum war sie nicht in dem Bus geblieben? Warum hatte sie den Fahrer nicht um sein Handy gebeten? Zu spät, dachte sie, nicht nachdenken, die nächste Möglichkeit zum Untertauchen nützen.
Eine kleine Wäscherei bot den einzigen Ausweg. Ohne lange zu überlegen, trat sie ein, gerade noch rechtzeitig, bevor der Linienbus weiterfuhr und den Weg für die Verfolger frei machte. Helle Glöckchen klingelten, als sie den Laden betrat und die Tür hinter sich zudrückte.
Hinter dem Tresen stand ein alter Chinese. Er blickte von seiner Zeitung hoch und begrüßte sie mit einem fröhlichen Lachen. »Scheußliches Wetter heute, nicht wahr? So schlimm war es schon lange nicht mehr.« Sein Lachen wich ernsthafter Besorgnis. »Ist Ihnen nicht gut, Miss? Sie sehen blass aus …«
Sarah brauchte einige Zeit, um wieder zu Atem zu kommen. Sie deutete auf das Telefon neben der Kasse. »Dürfte ich mal telefonieren? Ich hab leider kein Geld dabei, aber …« Sie sah, dass
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