Winterkill
er ihr nicht glaubte. »Ich hab meine Handtasche verloren … ist nur ein Ortsgespräch. Wenn Sie wollen, bringe ich Ihnen morgen einen Dollar vorbei.«
»Oh, das ist nicht nötig.« Der Chinese fand sein Lachen wieder und schob ihr das Telefon hin. »Alles in Ordnung, Miss? Sie sehen wirklich schlecht aus.«
»Alles okay«, erwiderte sie schnell. Sie griff nach demTelefon, zog den Handschuh von ihrer rechten Hand und tippte die Nummer der US Marshals ein. Ihr Atem ging immer noch schwer.
Während sich die Verbindung aufbaute, blickte sie durch das kleine Fenster in der Tür nach draußen. Im trüben Licht der Straßenlampen wirbelten dichte Flocken. Die Scheinwerfer vorbeifahrender Autos bewegten sich wie Irrlichter durch das Unwetter. Ein Schneepflug ratterte vor dem Laden vorbei und schob Schnee auf den Gehsteig. Sein gelbes Warnlicht flackerte nervös und warf unheimliche Schatten.
Sarah blickte auf die Uhr über dem Tresen. Kurz nach neun, ein Wunder, dass die Wäscherei noch geöffnet hatte. Die meisten Läden in dieser Gegend schlossen früher. Im Hörer knackte es. Nun komm schon, dachte sie ungeduldig. Das Freizeichen ertönte.
Ihr Blick wanderte zur Tür, erfasste den dunklen Schatten am Straßenrand gerade noch rechtzeitig. Der schwarze SUV! Direkt vor der Tür! Gleich würden die Männer hereinkommen. Ihr blieben nur noch wenige Augenblicke.
Sie legte den Hörer zurück und zog den Handschuh an, alles in einer fließenden Bewegung und von Panik getrieben. Sie blickte sich suchend um. An der Wand waren Regale mit eingepackter Wäsche, an silbernen Stangen hingen die gereinigten Anzüge und Kleider in Plastiküberzügen. Neben dem Tresen verdeckten Perlenschnüre den Durchgang in einen Nebenraum.
Vor der Eingangstür tauchten die Schatten ihrer beiden Verfolger auf. »Ich werde verfolgt«, sagte sie leise. »Verraten Sie mich bitte nicht!«
Sie entwischte durch den Perlenvorhang, gerade noch rechtzeitig, bevor die Tür aufging und die Glöckchen klingelten. »Wo ist sie?«, hörte sie einen der Männer zu demChinesen sagen. »Die Indianerin! Sie war doch hier, oder? Machen Sie den Mund auf !«
Sarah befand sich in einem kleinen Büro. Im schwachen Licht, das durch den Perlenvorhang fiel, erkannte sie einen Schreibtisch mit Computer und ein Regal mit Aktenordnern und Papieren. Kein Fenster, nur eine Tür. Sie schlich darauf zu und öffnete sie vorsichtig.
»Hier war keine Indianerin«, hörte sie den Chinesen sagen. »Wir sind allein. Meine Frau und meine Tochter in der Waschküche und ich. Tut mir leid, meine Herren, aber ich kann Ihnen nicht helfen.«
»Wo ist die Waschküche?« Sarah ahnte, dass der Mann auf den Perlenvorhang deutete. »Hinter dem Vorhang? Hey, der bewegt sich noch. Sie war hier.«
»Meine Frau … meine Tochter …«
Sarah zwängte sich durch die kaum geöffnete Tür, um den Lärm aus dem angrenzenden Raum nicht in den Laden dringen zu lassen, und zog sie leise hinter sich zu. Vor ihr lagen die Waschküche und die Reinigung. Zwei Reihen mit Waschmaschinen, Trocknern und den großen Trommeln für die Reinigung, Körbe mit schmutziger Wäsche, ein offener Schrank mit Waschmittel und Bleichmittel. Heiße Luft stand in dem lang gezogenen Raum. Es roch nach schmutziger Wäsche und chemischen Reinigungsmitteln.
Zwei Frauen arbeiteten in der Waschküche. Die ältere stand an der Bügelmaschine, die jüngere faltete die saubere Wäsche und stapelte sie auf einem großen Holztisch. Beide blickten sie verdutzt an, sagten aber nichts.
Sarah blieb keine Zeit für Erklärungen. Ohne ein Wort lief sie an den Frauen vorbei zu dem dicken Plastikvorhang auf der anderen Seite. Sie stieß ihn auf und fand sich in der Kälte wieder. Ein Hinterhof, der durch ein notdürftigesDach gegen Schnee und Wind geschützt war. Ein junger Chinese war gerade dabei, die Türen eines Lieferwagens zu schließen und einzusteigen.
»Nehmen Sie mich bitte mit!«, rief sie. Hinter ihr in der Wäscherei erklangen bereits die Stimmen der Verfolger. »Sie sind hinter mir her!« Sie rannte zur Beifahrertür, riss sie auf und sprang in den Wagen. »Worauf warten Sie, Mann?«
Der Chinese war viel zu überrascht, um ihr zu widersprechen. Noch dazu drangen in diesem Augenblick aufgeregte Stimmen aus der Waschküche, und die jüngere Frau rief: »Passen Sie doch auf ! Die hab ich gerade frisch gewaschen! Was wollen Sie überhaupt?«
»Fahren Sie los!«, drängte Sarah. »Die haben Pistolen! Fahren Sie endlich
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