Winterkill
wie die meisten seiner Kollegen in einer bunten Fantasieuniform, musste lachen. »Und ich dachteschon, Sie wollten mich anpumpen!« Er zog sein Handy aus der Tasche und gab es ihr. »Ein Ortsgespräch, okay?«
Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie überlegte kurz, ob sie ihn nach einem Ferngespräch fragen sollte, entschied sich dagegen und versuchte sich zu entscheiden, ob sie ihr Misstrauen überwinden und doch wieder die Notrufnummer der US Marshals wählen sollte. Aber damit hatte sie schon einmal Pech gehabt.
»Nur ein Ortsgespräch?«, wiederholte sie.
Der Türsteher lachte immer noch. »So ist es, Miss. Das Handy gehört der Hausverwaltung, und die wirft mich hochkantig hinaus, wenn ich damit ein Ferngespräch führe. Also machen Sie mir keinen Ärger, verstanden?« Er wurde ernst. »Und beeilen Sie sich, bevor einer der Mieter nach Hause kommt.«
Sie blickte auf die Tastatur des Handys in ihrer linken Hand und sah die Ziffern, die auf ihrem Handgelenk standen. Ethans Handynummer! Ohne groß zu überlegen, tippte sie die Zahlen ein. Er würde ihr helfen, auch wenn er sie schon zweimal aus seinem Wagen geworfen hatte. Er hatte es nur zu ihrem Schutz getan, um sie vor dem heimtückischen Angriff des Wendigo zu schützen und um sich selbst vor dem Monster in Sicherheit zu bringen. Er war stark genug, um sich gegen ihn zu wehren. Auch mit Liebe konnte man den Wendigo besiegen, und sie beide hatte schon bei ihrer ersten Begegnung ein so starkes Gefühl verbunden, dass sie keine Angst vor dem Wendigo zu haben brauchten. Es knackte im Hörer.
»Hallo?«
»Ethan? Hier Sarah …«
»Sarah!«, rief er so erfreut, dass die Angst wie eine schwere Last von ihr abfiel. »Sarah! Ich suche dich schon die ganze Zeit! Tut mir leid, das vorhin. Ich hab wohldurchgedreht. Mir wurde wieder schlecht, weißt du, und dann dieses Wetter … hey, Sarah, wo steckst du?«
»Kingsbury Street, ungefähr einen Block südlich von der Division. Der neue Wohnturm. Ich warte in der Halle auf dich.«
»Ich bin in zehn Minuten bei dir!«
»Bis gleich, Ethan.«
Sarah reichte dem Türsteher das Handy zurück und bedankte sich. Als sie sich zur Tür wandte und nach draußen blickte, sah sie einen der beiden Verfolger aus dem SUV steigen und zügig auf den Eingang zukommen.
Father Paul kniete vor dem Altar seiner Kirche und betete. »Herr«, bat er mit gedämpfter Stimme, als wäre noch jemand in der Kirche, den er mit seinem Gebet stören könnte. »Nimm dich der Seele von Candy Morgan an. Ich kannte sie als lebenslustiges und fröhliches Mädchen und will nicht glauben, dass sie sich aus freiem Willen in den Tod gestürzt hat. Nimm sie zu dir und gib ihr den Trost, nach dem sie im Leben vergeblich gesucht hat. Beschütze auch Sarah, die vor Gericht gegen einen gefährlichen Killer ausgesagt hat und ein neues Leben in der Fremde beginnen musste. Beschütze sie vor den Verbrechern, die sie aufgespürt haben, und hilf den Gesetzesbeamten, sie an einen sicheren Ort zu bringen.«
Er blickte zu dem kunstvollen Kruzifix empor, das ein Jesuitenpater schon während der Pionierzeit nach Amerika gebracht und in einer Blockhauskirche in Kanada aufgestellt hatte. Über Umwege war es nach Grand Portage gekommen. Wie viel Leid hatte der gekreuzigte Jesus während dieser Zeit gesehen, unendliches Leid, das weiße Eroberer den Indianern angetan hatten. Er wollte dazu beitragen, die Anishinabe in eine neue Zukunft zu führen, ohne ihreTradition zu vernachlässigen, ein Prozess, der auch im 21. Jahrhundert noch lange nicht abgeschlossen war.
Er legte das Kinn auf seine gefalteten Hände. »Herr«, fuhr er fort, »du hast sicher gehört, wie ich mit Niskigwun gesprochen habe. Er macht junge Frauen seines Stammes für den Freitod seines Sohnes verantwortlich und hat sie mit einem Fluch belegt. Der Wendigo soll sie holen, ein Ungeheuer aus ihren Legenden, das im Winter kommt und seine Opfer auffrisst. Du weißt, dass ich nicht an solche Monster glaube, aber auch nicht so vermessen bin, sie als heidnischen Unsinn abzutun. Halte ihn auf, falls sein Fluch etwas mit dem Tod von Candy Morgan zu tun hat. Beschütze Sarah Standing Cloud. Schicke den Wendigo in die Wälder zurück.«
Durch einige der bunten Fenster flackerte das Licht von Scheinwerfern. Der Motor eines altersschwachen Pick-ups drang durch das Rauschen des Windes und verstummte. Father Paul blickte auf die Uhr. Kurz nach zehn. Wer wollte ihn so spät noch sprechen?
Die Tür ging auf und ein Schwall
Weitere Kostenlose Bücher