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Winterkill

Winterkill

Titel: Winterkill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ueberreuter
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durch ihre dicke Winterkleidung drang. Sie zitterte auf einmal. Etwas Unsichtbares schien sie zu berühren, drang unter ihre Haut und trübte ihren Blick. Eine fremde Macht übernahm die Kontrolle, ließ sie die Karte in den Schlitz schieben und das Drehkreuz passieren. »Florence«, flüsterte die heisere Stimme und begleitete sie die Treppe zum Bahnsteig hinab. Sie schob das seltsame Gefühl auf ihre Müdigkeit, wahrscheinlich die Erschöpfung nach dem anstrengenden Shooting, sie brauchte dringend Schlaf.
    Aus der Ferne drang bereits das dumpfe Rattern des Zuges. Im Tunnel tauchten die Scheinwerfer des vorderenWagens auf. Als dumpfes Echo drang das Rattern der Räder aus dem Tunnel, kroch an den kahlen Wänden empor und verteilte sich im ganzen Bahnhof.
    »Komm zu mir, Florence!«, hörte sie die krächzende Stimme sagen. »Noch ein paar Schritte nach vorn, hab keine Angst! Candy wartet schon auf dich!«
    Wie von einer unsichtbaren Macht getrieben, trat Florence auf den Rand des Bahnsteigs zu. In ihrem Kopf ging das Krächzen im Lärmen des U-Bahn-Zuges unter. Ihre Augen waren stumpf und leer, als die Scheinwerfer aus dem Tunnel tauchten und sie mit ihren hellen Strahlen erfassten, sie immer näher an die Bahnsteigkante heranzogen.
    Sie hatte keinen eigenen Willen mehr, war zum Opfer der unsichtbaren Macht geworden. Ohne dass sie jemand stieß, stolperte sie nach vorn, trat ins Leere und stürzte stumm vor die heranbrausenden Wagen. Heiseres Lachen begleitete sie.
    Sarah war gerade erst eingeschlafen, als die eisige Kälte sie aus dem Schlaf riss. Sie schreckte hoch und blickte sich entsetzt um. Es dauerte eine ganze Weile, bis ihr einfiel, wo sie sich befand.
    Sie nahm an, dass eines der Fenster aufgegangen war, und kroch verschlafen von der Couch. Im roten Lichtschein der Stand-by-Lämpchen am Fernseher und an der Stereoanlage überprüfte sie die Fenster. Ihre Augen waren verquollen, und in ihrem Kopf dröhnte es, als hätte sie zu viel Alkohol getrunken. Sie war so müde, dass sie sich kaum auf den Beinen halten konnte.
    Die Fenster waren verriegelt, die Haustür abgeschlossen. Auch die Türen zum Flur und zu Sophies Zimmer waren geschlossen. Sie ging zum Thermostat an der Wand und stellte fest, dass er auf angenehme zwanzig Grad Celsiuseingestellt war. Sie klopfte leicht dagegen. Das Ding musste kaputt sein, ausgerechnet jetzt, wo sie schlafen wollte.
    Der nächste eisige Windstoß rauschte durch das Zimmer und riss einige Zeitschriften vom Couchtisch. Die Türen begannen zu klappern. Die Jalousien schlugen laut und unregelmäßig gegen die Fensterscheiben. Als wäre der ganze Raum verhext …
    Ein Erdbeben, schoss es Sarah durch den Kopf, als der Boden unter ihren Füßen zu vibrieren begann. Bis ihr einfiel, dass es in Chicago keine Erdbeben gab. Sie blieb wie angewurzelt stehen, starrte in einer bösen Vorahnung auf Sophies Schlafzimmertür, beobachtete entsetzt, wie sich der Drehknopf bewegte. »Sophie«, flüsterte sie.
    Sie wusste, dass ihr nur Sekunden blieben. Zum Glück hatte sie in ihren neuen Kleidern geschlafen, nur die Stiefel hatte sie ausgezogen. In Windeseile schlüpfte sie hinein. Der Wind schien durch alle Öffnungen hereinzublasen, trieb jetzt auch Schneeflocken ins Zimmer. Ein Bild löste sich von der Wand und krachte zu Boden, der Rahmen und das Glas zersplitterten. Im selben Moment öffnete sich die Schlafzimmertür und Sophie betrat mit glühenden Augen den Raum. Ihre Stimme klang heiser, sagte etwas, das sie nicht verstand. Ihre Kollegin kam langsam näher. Ihr weißes Nachthemd flatterte wie ein Schleier im eisigen Nachtwind.
    Sophie rannte ins Bad, holte ihren Anorak und stürmte in den Flur. Auf dem Weg zur Tür stülpte sie sich ihre Strickmütze über den Kopf. Wie von Furien gehetzt riss sie die Haustür auf und rannte hinaus.
    Erst auf der Straße zog sie ihren Anorak an. Sie zurrte den Reißverschluss bis zum Hals und rannte gebückt davon. Benommen kniff sie ihre Augen gegen das Unwetter zusammen.
    Ohne sich umzudrehen, floh sie zur Hauptstraße. Zur Hochbahnstation, ein anderer Fluchtweg fiel ihr nicht ein. Ihren Knöchel spürte sie kaum noch, zu groß war die Angst vor der geheimnisvollen Macht in ihrem Rücken. Der Wind umtoste sie mit winzigen Eiskörnern, die wie Nadeln in ihre Gesichtshaut stachen, trieb innerhalb weniger Augenblicke auch die letzte Müdigkeit aus ihren Knochen. Nun war auch Sophie zum willenlosen Werkzeug des Ungeheuers geworden.
    Wenige Schritte vor

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