Winterkill
dem Eingang zur Station, vor den gläsernen Türen des modernen Treppenhauses, hielt plötzlich ein Wagen neben ihr. Ein dunkler Chevy. Das Beifahrerfenster senkte sich und eine weibliche Stimme rief: »Miss, würden Sie mir bitte helfen!«
Im ersten Augenblick dachte sie, Sophie wäre ihr nachgefahren, aber die Stimme klang freundlich und vertrauenswürdig, erinnerte in keiner Weise an das Krächzen, das sie soeben gehört hatte. Ahnungslos trat sie an den Wagen heran und blickte in den Lauf einer Pistole. »Steigen Sie ein oder ich schieße!«, befahl eine junge Frau. Ihr Blick ließ keinen Zweifel daran, dass sie ihre Drohung ernst meinte.
Sarah war für einen Moment wie gelähmt, blickte mit starren Augen ins Wageninnere. »Was soll … Was hat …«
»Steigen Sie ein!«, wiederholte die Frau. Im gelben Licht der Straßenlampen wirkte ihr Gesicht blass, beinahe krank, und ihre zum Pferdeschwanz gekämmten Haare heller, als sie waren.
Mit der freien Hand öffnete sie die Beifahrertür, eine unmissverständliche Aufforderung, sich zu beeilen. Sarah blieb nichts anderes übrig, als einzusteigen. Den Blick auf die Pistole gerichtet setzte sie sich auf den Beifahrersitz und schloss die Tür. »Schnallen Sie sich an«, verlangte dieFrau. Während sie über die Brücke fuhren, stieß sie Sarah den Pistolenlauf in die Seite.
Sarah wagte kaum zu atmen. Nur ganz allmählich erholte sie sich von ihrem Schreck. Sie atmete ein paarmal tief durch und vertrieb das Zittern aus ihrem Körper, zwang sich dazu, klar und rational zu denken. Man brauchte keine besondere Intelligenz, um ihre missliche Lage zu deuten. Die Frau war eine Killerin. Bruno Cavani hatte eingesehen, dass die beiden Männer, die er geschickt hatte, der Sache nicht gewachsen waren, und eine Bessere beauftragt. Eine Killerin, die sie gleich beim ersten Versuch überrumpelt hatte und eigenhändig zur Hinrichtung fuhr. Denn dass die Frau sie töten würde, war ihr längst klar.
»Ich bin Kathryn«, sagte die Killerin. Sie lächelte sogar dabei. »Und Sie sind Sarah, nicht wahr? Ich möchte nur vermeiden, die Falsche umzubringen.«
»Und wenn ich’s nicht bin?«, fragte Sarah. Ein schüchterner Versuch, Kathryn aus dem Gleichgewicht zu bringen.
Kathryn lächelte kühl. »Sie sind es. Ich habe Sie aus dem Haus Ihrer Kollegin kommen sehen. Ziemlich dumm von Ihnen, sich dort zu verstecken.« Der Druck des Pistolenlaufs blieb gleich. »Warum haben Sie nicht die Cops gerufen? Warum sind Sie weggerannt?«
»Das geht Sie gar nichts an.«
»Stimmt«, erwiderte Kathryn. »Eigentlich ist es mir auch egal. Ich profitiere öfter von der Dummheit meiner Zielpersonen. Ich wollte nur etwas Konversation betreiben. Sie ein wenig ablenken.«
»Blödsinn«, reagierte Sarah trotzig.
Kathryn fuhr nicht zu schnell, aber auch nicht zu langsam, hatte die freie Hand lässig über dem Lenkrad liegen. »Ich weiß, wie Sie sich fühlen«, sagte sie. »Sie sind jung undhätten Ihr ganzes Leben noch vor sich. Da erscheint der Tod besonders sinnlos. Sicher sind Sie auch wütend auf das FBI und die Cops, weil man Sie nicht besser beschützt hat. Aber so ist das nun mal. Keine Angst, ich mache es kurz und schmerzlos. Ich lasse Sie nicht leiden.«
»Bullshit!«
»Sarah … bitte …«
»Sie haben doch keine Ahnung, wie ich mich fühle. Einen Dreck wissen Sie!« Sarah reagierte trotz ihrer Todesangst mit wüsten Beschimpfungen, hätte Kathryn am liebsten ins Gesicht geschlagen. Aber die Killerin hatte mit einer solchen Reaktion gerechnet und schien nicht im Mindesten überrascht.
»Es ist schon seltsam, wie die Leute reagieren, wenn sie den sicheren Tod vor Augen haben«, sagte sie. »Ich hatte Opfer, die weinten wie kleine Kinder und flehten mich auf Knien an, sie zu verschonen. Andere schrien sich die Seele aus dem Leib oder gingen auf mich los. Sie sind wütend und versuchen es mit Beschimpfungen. Warum machen Sie es sich so schwer, Sarah? Warum akzeptieren Sie Ihren Tod nicht? Warum sich über etwas aufregen, was man sowieso nicht ändern kann. Wer weiß, vielleicht kommt ja was Besseres nach. Seien Sie vernünftig, Sarah. Ich habe doch gesagt, ich mach es so kurz und schmerzlos wie möglich. Damit komme ich Ihnen entgegen. Mein Auftrag lautet, Sie so lange wie möglich leiden zu lassen. Sie sollten mir dankbar sein, dass ich eine anstrengende Nacht hinter mir habe und nicht die geringste Lust verspüre, diesen Auftrag wörtlich zu nehmen.«
»Sie sind doch krank!«, brach es
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