Winterkind
blieb, bis der Spiegel sicher an seinem neuen Bestimmungsort angekommen war.
„Vorsicht, bitte“, sagte sie sehr laut und betont. Willem machte ein zerknirschtes Gesicht. Die nächsten Stufen bugsierte er den Spiegel besonders behutsam weiter.
„Is wohl“, er keuchte jetzt doch ein wenig, „ein Erbstück – das Riesending – nich? Hängt man natürlich – sehr dran. Ich habe da – eine Pfeife – von meinem alten Herrn …“
Sophie unterdrückte ein Lächeln. Der Spiegel taumelte schon auf sie zu, sie drückte sich hastig an die Wand.
„Pass up!“, rief Willem fröhlich. „Frolleinchen, wenn Sie – verzeihn …“
Der Spiegel schwankte an ihr vorbei, und dann roch sie auch, was sie vorher nur in seiner Stimme geahnt hatte: Marek mit den dunklen Haaren zog dumpfen Biergeruch hinter sich her.
Sophie rümpfte die Nase, sie konnte nicht anders. Da blieb er plötzlich stehen, der Spiegel stockte; er starrte ihr mitten ins Gesicht und sagte:
„Was is? Ich bin’n freier Mann, Frolleinchen. Da habense nich so mit’m Näschen zu zucken. Sonst tragense das Ding alleine.“
Seine Stimme war heiser, wie Krähenkrächzen, und sehr leise, aber sie schnitt tief ein. Sophie starrte zurück, sprachlos vor so viel Unverschämtheit. Seine Augen, dunkler noch als seine Haare, waren blutunterlaufen. Sie wichen ihren eigenen keinen Millimeter aus.
„Ich hatte den Eindruck“, sagte sie, und ihre Stimme zitterte leicht, aber wahrnehmbar, „dass Sie hergekommen waren, um uns zu helfen. Und“, sie schaffte es, sich zusammenzunehmen, „dafür entlohnt zu werden.“
Sein Blick stachen in ihre Augen, ein, zwei Herzschläge lang. Dann bückte er sich abrupt noch tiefer, und Willem schrie überrascht auf, als das Gewicht des Spiegels wieder ganz auf seine Arme niedersank.
„Wissense was, Frollein“, sagte Marek noch leiser, als er sich wieder aufgerichtet hatte. Es war eigentlich kaum noch zu verstehen, aber sie alle hörten jedes Wort so deutlich, als würde er schreien. „Auf die paar Pfennige kann ich auch noch pfeifen. Sie ham ihn ja jetzt oben. Schleppense ihn man selbst der Gnädigsten ins Kämmerchen, das feine Ding …“ Sein Blick strich abschätzig über den Spiegel, blieb an den blassen Edelsteinen hängen, dort, wo der Rahmen aus dem Tuch hervorsah. Plötzlich verzogen sich die Falten um seine Augen. „Das feine Ding“, sagte er noch einmal, und darunter schwang etwas wie schlecht unterdrückte Heiterkeit.
„Also, das ist …“, rief Sophie.
„Marek, du Döspaddel!“, brüllte Willem gleichzeitig.
Aber Marek achtete weder auf ihn noch auf sie. Er hustete krächzend in die hohle Hand, schob sich an ihnen allen vorbei und stieg die Treppe hinab. Lieschen zuckte vor ihm zurück. Dann blieb er stehen, und diesmal lachte er wirklich, rau und krächzend.
„Ein feines Ding, ja, das isses. Ich wünsch der Gnädigsten viel Vergnügen damit.“
Einen Augenblick später schlug die Haustür donnernd ins Schloss.
Zwei oder drei Minuten lang brachte keiner von ihnen ein Wort heraus.
Schließlich räusperte sich Willem.
„Verzeihung, Frollein, das wollte ich nicht. Und er bestimmt auch nicht, der Dummkopf. Er is nur manchmal – diese Sozis sind schuld, sie setzen den Leuten Flausen in den Kopf. Und vor allem, seit seine schöne Stellung pfutsch is, da – na ja. Sie haben ihn ja mitgekriegt. Entschuldigen Sie man. Er meint es nicht so.“
„Sozialdemokraten“, murmelte Lieschen am Treppenfuß erschüttert. „Rote! Nee, nee, dass es die jetzt auch hier draußen gibt … Widerliches Pack, hat der Vater immer gesagt. Schlimmer als Juden!“
Sophie wusste nicht recht, was sie sagen sollte. Für solche Situationen gab es kein Benimmbuch. Sie ignorierte Lieschen, nickte Willem schließlich einfach zu, und er grinste erleichtert.
„Danke Frollein, Sie haben ein gutes Herz. Nur jetzt, da wär es auch gut, wenn ich das Ding irgendwo hinstellen könnte. Es wird allmählich doch’n büschn schwer, wenn Sie verstehn.“
Sophie schaute den Flur entlang, auf die dunkelbraunen, geschnitzten Türen, die alle gleich aussahen; links lagen die Gästezimmer und ihre eigene kleine Kammer, rechts die Schlafzimmer der Herrschaften, mit Ankleideräumen dazwischen. Weil sie es nicht fertigbrachte, in Willems Gegenwart das Wort Schlafzimmer zu benutzen, sagte sie bloß: „Hinten rechts, Willem, bitte. Ich mach Ihnen die Tür auf.“
Hinein ging sie nicht mit ihm.
Im Kinderzimmer murmelte Johanna im Halbschlaf,
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