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Winterkind

Winterkind

Titel: Winterkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Mer
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Dann beugte er sehr schnell den Kopf, und bevor sie verstand, was er tat, streifte sein Mund schon über ihren Handrücken, so leicht, so flüchtig wie die Schneeflocken.
    „Bis dann also, Frollein Sophie“, flüsterte er gegen ihre bloße Haut. „Bis dann …“
    Sie stand reglos, sprachlos. Er richtete sich auf, tippte sich an die Mütze. Etwas glitzerte in seinem Augenwinkel, ein Funken von etwas, das sie nicht einschätzen konnte. War es – Sehnsucht? Traurigkeit? Aber es hatte nichts von dieser Wehmut, die immer noch in seinem kleinen Lächeln lag …
    Er ließ ihre Hand los, und sie glitt von seinem Arm herunter, fiel schwer gegen ihren Rock. Mit einem Mal fühlte sie sich leblos und kalt an. Das bauchige Glas fest an sich gedrückt, wandte er sich um. Dann war er fort, sein breiter Rücken verschwand hinter dem Schneeflockenvorhang, die Straße hinauf, zur Glashütte. Sophie brauchte eine lange Weile, bis sie ihre Fassung soweit zurückgewonnen hatte, dass sie ins Haus gehen konnte. Und das Gefühl – die weiche Wärme tief in ihrem Inneren – ging mit ihr, auch wenn sie es nicht verstand. Sie spürte es noch, als sie schon wieder am Kinderbett saß und einen neuen Halswickel vorbereitete.

    Beim Abendessen konnte Blanka kaum die Augen offen halten. Das glänzende Porzellan, das schimmernde Kristall, alles verschwamm zu tanzenden Lichtflecken. Mehr als einmal stach sie mit der Gabel ins Tischtuch, anstatt den Teller zu treffen. Sophie rechts neben ihr ging es kaum anders. Lieschen kam, um abzuräumen, sah sie beide dort sitzen, zusammengesunken, und stemmte die Arme in die breiten Hüften.
    „Nee, gnä’ Frau, so geht das nicht mit Ihnen! Wie wollen Sie sich denn weiter um das kleine Frollein kümmern, wenn Sie vom Stuhl fallen? Nehmen Sie’s mir man nicht übel, aber Sie gehören ins Bett. Sie beide, Frollein Sophie! Ich kann mich nach oben setzen zu der Kleinen. Genug gedöst hab ich ja, während Sie aufgepasst haben.“
    Keine von ihnen protestierte. Sophie nickte nur, und Blanka sagte matt:
    „Ich glaube, du hast recht, Lieschen. Wir sollten uns hinlegen, wenigstens für ein paar Stunden. Das Fieber ist nicht wieder angestiegen wie gestern Abend. Es ist vielleicht ein gutes Zeichen. Und morgen ist ein neuer Tag. Ein besserer Tag.“
    Sie hörte selbst, wie jämmerlich das klang, aber sie konnte es nicht ändern. Und sie musste glauben, dass es stimmte. Morgen – morgen würde Johann endlich zurückkommen und mit ihm Ordnung und – das Coupé. Sollte es Johanna dann immer noch nicht besser gehen … Aber sie durfte so nicht denken. Ein neuer, besserer Tag!
    Sie winkte Lieschen, damit sie ihr den Stuhl zurückzog.
    Im Ankleidezimmer half das Mädchen ihr aus den Kleidern wie an jedem Abend. Blanka trug immer noch das Tageskleid von gestern; erst, als Lieschen anfing, es ihr auszuziehen, fiel es ihr wirklich auf, auch die Wasserflecken auf dem Samt. Sie schämte sich, ohne es zu zeigen. Sie hätte nicht so nachlässig sein dürfen, bei aller Sorge um Johanna nicht. Nicht einmal morgens ein frisches Kleid anzuziehen! Wäre Johann zu Hause gewesen, er hätte die blonden Brauen gerunzelt, auf diese Art, wie er es manchmal tat, und sie hätte sofort verstanden … Sie presste die Lippen zusammen, und Lieschen, die mit den Schnüren des Mieders kämpfte, ließ locker, weil sie glaubte, ihr wehzutun. Blanka schüttelte nur wortlos den Kopf und hielt sich an der Türklinke fest. Der glatte Stoff ihrer Handschuhe rutschte auf dem Messing. Als Lieschen endlich Erfolg hatte, zog sie ihr das Mieder über den Kopf, half ihr aus dem schweren Rock und machte sich daran, das Tournürengestell zu lösen, das daruntersaß. Die verbundenen Stahlreifen wippten und sangen. Flüchtig dachte Blanka daran, um wie viel angenehmer diese modernere, schmalere Form war, die den Rock nur noch nach hinten aufwarf – anders als die Krinoline, die sie noch vor wenigen Jahren getragen hatte. Ein kreisrundes Gestell, meistens aus Leinen und Fischbein und Streifen aus gewebtem Pferdehaar, mit dem man kaum durch die Türen passte … Mit der Tournüre musste man nur wissen, wie man sich hinzusetzen hatte, und der Stahl, der Werkstoff der neuen Zeit, war gleichzeitig elastischer und stärker als alles, was man vorher verwendet hatte.
    Stahlstäbe steckten auch in den schmalen Futtertaschen ihres Korsetts. Die lange, zarte Silhouette, die man zeigte, seit die Tournüre in Mode gekommen war, ließ sich damit viel besser herstellen als

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