Winterkinder: Drei Generationen Liebe und Krieg (German Edition)
Moskauer Vorort Petschatniki und auf der Kaschirskoje-Autobahn, als die Feuerwehrleute nach den ganz normalen Leben suchten, die überall verstreut lagen. Billige Sofas lagen zersplittert unter den Ziegelsteinhaufen, und unter meinen Füßen knirschte Plastikspielzeug. Über 300 Menschen kamen bei den Angriffen um.
Tschetschenische Rebellen wurden verantwortlich gemacht, und wenige Wochen später rollte die russische Armee in die abtrünnige Rebellenrepublik. Ausländischen Journalisten war es untersagt, eigenständig zu reisen, mit Ausnahme von vom Kreml organisierten Bustouren, die sorgfältig die Front mieden. Ich verbrachte den größten Teil des Winters damit, mir neue Wege auszudenken, um heimlich nach Tschetschenien zu gelangen: manchmal mit den Rebellen, manchmal mit Tschetschenen, die auf Moskaus Seite standen, und mehrfach, indem ich mich russischen Journalisten anschloss und mit russischen Kommandeuren vor Ort Vereinbarungen traf, die es mir gestatteten, Zeit mit ihren Einheiten zu verbringen.
Auf meiner letzten Reise nach Tschetschenien – meiner dreizehnten – waren ich und mein Freund Robert King, ein Fotograf, in der Nähe des Dorfes Komsomolskoje. Die russische Armee hatte die Überreste der Haupttruppe der Rebellen, die sich aus Grosny zurückgezogen hatten, in dem kleinen Weiler eingeschlossen und drei Tage lang mit Raketen und Artillerie beschossen. Wir kamen am vierten Tag an, als sich der Morgennebel gerade lichtete, und sahen, dass die russischen Bataillone, die sich tagelang um das Dorf herum vergraben hatten, abgezogen waren und nur Müll und von den Panzern aufgewühlten Matsch zurückgelassen hatten. Wir fuhren unbehelligt nach Komsomolskoje hinein.
Andere tschetschenische Städte und Dörfer, die ich gesehen hatte, waren ausgebombt worden, und anstelle der Häuser blieben nur noch tiefe, rauchende Krater. In diesem Dorf war es anders. Das Dorf war Haus um Haus umkämpft worden, jedes Gebäude mit Einschusslöchern übersät und die Mauern von Geschossen durchlöchert. Durch die Gemüsebeete der Dorfbewohner zogen sich kreuz und quer flache Schützengräben und improvisierte Befestigungen der Rebellen. Es roch stark nach Kordit, verbranntem Holz, aufgewühlter Erde und Tod.
Die Leichen der Rebellen lagen in Gruppen von drei oder vier zusammen. Die ersten sahen wir in der Ecke eines Hauses, aufgestapelt unter den Trümmern eines eingestürzten Daches. Ihre Hände waren zusammengebunden und ihre Brustkörbe von Kugeln in einen blutigen Brei verwandelt worden. Ein Stück weiter stießen wir auf die Leiche eines weiteren Rebellen, eines Riesen mit buschigem rotem Bart, die Hände auf dem Rücken mit Draht gefesselt. Tief in der Seite seines Kopfes steckte ein russisches Schanzzeug, mit dem er erschlagen worden war. In einem schmalen Graben lagen reihenweise Leichen, ineinander verschlungen. Sie lagen so da, wie sie nach der Maschinengewehrsalve gefallen waren. Robert zog durch die Ruinen und fotografierte, seine professionellen Instinkte übernahmen die Kontrolle. Ich kritzelte im Gehen in mein Notizbuch, formte, so schnell ich konnte, die Bilder in Worten auf die Seiten – vielleicht, damit sie nicht in meinem Geist hängen blieben.
Insgesamt zählten wir über 80 Leichen, und das war nur der Rand des Ortes. Die Russen behaupteten, insgesamt 800 der Männer des Rebellenkommandanten Ruslan Gelajew in und um Komsomolskoje getötet zu haben. Ich ertrug es nicht, noch weiter zu gehen, auch, weil ich Angst vor Minen und Sprengfallen hatte. Ich ging zu einem Gebäude aus Betonstein hinüber, das teilweise niedergebrannt war. Das gewellte Betondach war eingestürzt und lag in Trümmern zwischen einem Gewirr aus Eisenbetten und Plastikgartenstühlen. Zwischen den Überresten des Daches bemerkte ich eine Decke, die um einen Körper gewickelt zu sein schien. Ich hob ein 30 Zentimeter langes Bruchstück eines Ziegels auf und begann, die Trümmer wegzuräumen. Ich schob sacht die Decke beiseite und enthüllte das Gesicht eines Mannes. Dabei berührte der Ziegel seine Wange. Das Fleisch war hart und gab nicht nach. Nichts erinnerte an die Berührung eines Menschen.
Der Tote war ein Afrikaner, seine Haut tiefschwarz, aber mit europäischen Zügen, vielleicht ein Somalier. Er schien einer der ausländischen Kämpfer zu sein, die nach Tschetschenien gekommen waren, um sich dem Dschihad anzuschließen. In dieser trostlosen Ecke des Kaukasus war er nun vor seinen Schöpfer getreten. Er sah wie
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