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Winterkinder: Drei Generationen Liebe und Krieg (German Edition)

Winterkinder: Drei Generationen Liebe und Krieg (German Edition)

Titel: Winterkinder: Drei Generationen Liebe und Krieg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Owen Matthews
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Fabriken installiert worden waren. Eine der vielen Entschuldigungen, die Bibikow seiner leidgeprüften Frau für seine ständigen Verspätungen hatte, war, dass er persönlich Kurse in Marxismus-Leninismus für eine fortgeschrittene Gruppe Vorarbeiter und Verwalter gab. Außerdem hielt er für die Parteibasis Großkundgebungen und Lesungen zur politischen Ökonomie ab. Man stellt sich dabei Reihen begeisterter und nicht so begeisterter Zuhörer vor, die zu der kahlköpfigen, lebhaften Figur in ihrem gestreiften Matrosenhemd aufblicken und die Informationen so unkritisch in sich aufsaugen wie ein Schwamm. Marx und Lenin traten allmählich an die Stelle des eifersüchtigen russischen Gottes, mit dem sie groß geworden waren.
    Am 31. Mai 1931 wurde der Industrieoberboss des Politbüros, Sergo Ordschonikidse, ehrerbietig in den fast fertiggestellten Fabrikgebäuden herumgeführt. Ordschonikidse ordnete die Fertigstellung des Baus bis zum 15. Juli an. Der Einbau der Produktionsstraßen sollte direkt danach beginnen. Angesichts der unausgesprochen drohenden Strafen im Falle eines Scheiterns ist es nicht weiter überraschend, dass die Fabrik termingerecht fertig wurde.
    Am 25. August 1931 liefen die ersten Testtraktoren vom Band. Am 25. September sandte der Fabrikdirektor ein Telegramm an das ZK, in dem er berichtete, das ChTS sei wie geplant ab dem 1. Oktober bereit, in Produktion zu gehen – nur 15 Monate nach dem ersten Spatenstich.
    20 000 Menschen versammelten sich zur offiziellen Eröffnung in der riesigen Maschinenhalle. Demjan Bedny, der »proletarische Dichter«, dessen Pseudonym »Demjan der Arme« bedeutete, war dort und dokumentierte die Ereignisse in Versen. Anwesend war außerdem eine Delegation von Würdenträgern aus Moskau. Ein Doppeldecker flog über das Fabrikgelände und verteilte Flugblätter, auf denen ein Gedicht mit dem Titel Heil dem Giganten des Fünfjahrplans abgedruckt war. Der ausländische Journalist mit den Gummistiefeln war auch da, »genauso schludrig, aber nicht mehr so selbstbewusst«. Warwara, das Bauernmädchen, das er verspottet hatte, hatte die Fabrikschule besucht und war nun eine ausgebildete Stahlpressenarbeiterin.
    Grigori Iwanowitsch Petrowski, Vorsitzender des Obersten Sowjet der Ukraine, durchschnitt das zeremonielle Band, ging zu Fuß in die Halle und fuhr zu den Klängen der Internationale , gespielt vom Blasorchester der Fabrik, auf einem leuchtend roten, über und über mit Nelken bedeckten Traktor wieder hinaus. Am Steuer saß Marusja Bugajewa, die beste Arbeiterin der Fabrik. Dutzende anderer Traktoren folgten. Ein Kolchosenarbeiter rief, so berichtete die Temp in ihrer Sonderausgabe zur Eröffnung: »Genossen, es ist ein Wunder!«
    Das sowjetische Satiremagazin Krokodil veröffentlichte wortgetreu das Telegramm der Fabrikleitung: erster oktober eröffnung traktorenwerk charkow. einladung vertreter der redaktion zu eröffnungsfeierlichkeiten. es laden ein fabrikdirektor swistun. parteisekretär potapenko. vorsitzender des fabrikausschusses bibikow. Das Magazin verfasste ein Gedicht anlässlich des großen Ereignisses, An die Erbauer des Traktorenwerks Charkow .

    An alle, an all die Helden des Baus,
    Die teilhaben an einem unserer großen Siege,
    Die gearbeitet haben am Bau des Charkowtraktors:
    Ein flammender Gruß des Krokodils!
    Das Krokodil ist überglücklich über die Neuigkeit
    Und neigt seine Kiefer vor euch:
    Ihr habt eure Aufgabe mit bolschewikischer Ehre erfüllt,
    Charkow hat das Tempo gehalten …
    Ein Rekord! Ein Jahr und drei Monate!

    Doch hinter dem allgemeinen Jubel bahnte sich auf dem Land eine Katastrophe an. Die Traktoren des ChTS kamen zu spät, um Einfluss auf die Ernte 1931 zu nehmen, die wegen der verheerenden Schäden, die die Kollektivierung angerichtet hatte, katastrophal ausfiel. Die geplanten »Getreidefabriken« produzierten kaum mehr als die Hälfte dessen, was das gesamte Land fünf Jahre zuvor geerntet hatte. Die Bauern konnten gegen den Verlust ihres Landes und ihrer Häuser nur protestieren, indem sie ihre Tiere schlachteten und so viel wie möglich von ihren Lebensmittelvorräten aufaßen, ehe die Kommissare kamen. Augenzeugen des Roten Kreuzes berichteten von Bauern, die »trunken vom Essen« waren, ihre Augen glasig durch ihre wahnsinnige, selbstzerstörerische Völlerei und das Wissen um die Konsequenzen.
    Es ist nicht weiter überraschend, dass sie nur unwillig für die neuen staatlichen bäuerlichen Großbetriebe arbeiteten.

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