Winterlicht
Frau, die er je gesehen hatte.
„Nein“, wiederholte sie. „Ich glaube, die Schwächung des Fluches war möglich, weil ein Junge ein Opfer brachte, um die Prinzessin zu schützen. Du hast dir eine Wunde zugefügt, Finnikin. Doch Isaboes Rettung kostete dich mehr als das.“
Er wagte nicht wegzusehen.
„Ich war dabei, als meine Mutter auf dem großen Platz hingerichtet wurde“, sagte sie zornig. „Als sie den Fluch aussprach und viele andere wegliefen, bin ich geblieben. Sie hat mich auf die Welt kommen sehen und nun sah ich dabei zu, wie sie diese Welt verließ. So war alles im Gleichgewicht, findet ihr nicht?“
Niemand sagte ein Wort.
„Ich sah dich an diesem Tag“, fuhr sie fort, den Blick noch immer auf Finnikin gerichtet. „Ich sah, was du tatest. Seitdem bewahre ich einen Dolch mit deinem Namen auf, Finnikin von den Felsen. Das Einzige, was mich getröstet hat, war, dass meine Mutter die Qualen des Feuers nur kurz erdulden musste.“
Finnikin hörte Trevanion und Sir Topher nach Luft schnappen und sah ihre entsetzten Gesichter.
„Was haben Finnikins Taten damit zu tun, dass Ihr mit Königin Isaboe, die sich außerhalb von Lumatere befand, Kontakt aufnehmen konntet?“, fragte Sir Topher.
„Ich weiß auch nicht mehr darüber als Ihr, Sir Topher. Die Toten geben uns weder Anleitung noch Erklärung. Wir mussten alles selbst herausfinden. Ich fand Lady Beatriss im Kerker des Palastes, wo sie ein totes Kind umklammerte. Nachdem ich sie nach Sennington zurückgebracht hatte, sah ich sie fünf Jahre lang nicht wieder. Es waren die dunkelsten Jahre. Und eines Tages, im fünften Jahr unserer Gefangenschaft, stand Lady Beatriss auf der Türschwelle. Genau dort drüben“, sagte sie und deutete zum Eingang. „Es war in den frühen Morgenstunden. Und sie kam nicht allein.“ Sie drehte sich zu einem jungen Mädchen um, das im Garten kniete und Beete bepflanzte. „Japhra?“
Das Mädchen trat zu ihnen, und Finnikin fiel auf, dass sie eine der Novizinnen war, die in Tesadoras Wagen gesessen hatten, als er und seine Leute nach Lumatere zurückgekehrt waren. Sie war klein und kräftig gebaut, hatte Rehaugen und dunkles, dichtes Haar.
„Das sind Freunde von Lady Beatriss, Japhra“, sagte Tesadora. „Kannst du uns etwas Tee bringen?“
Nachdem sich das Mädchen entfernt hatte, führte Tesadora die Männer zurück ins Kloster.
„In der Nacht, in der sie zu mir kam, hatte Lady Beatriss Japhra aus dem Palast geschleust und war mit ihr durch die Dunkelheit geritten, um uns zu finden. Japhra aus dem Tiefland war damals gerade zwölf Jahre alt. Der Thronräuber hatte sie ihrer Familie weggenommen, um mit ihr zu tun, was immer ihm beliebte. Sie war vollkommen teilnahmslos, ihre Seele ist auch heute noch beschädigt.“
Finnikin erschauderte.
„Ich hatte oft versucht mithilfe der Magie Sagramis in Verbindung mit meiner Mutter zu treten, war aber immer wieder gescheitert. Das änderte sich in jener Nacht, in der Lady Beatriss sich mir anvertraute. Sie hatte mich nicht nur wegen Japhra sehen wollen. Lasst es mich so ausdrücken: Es gab auc h … medizinische Gründe.“
„Sie war schwanger?“, fragte Trevanion.
„Ich glaube, ich muss Euch nicht sagen, dass diese Unterhaltung niemals weitergetragen werden darf, sons t …“
„Sonst werdet Ihr uns vergiften?“, fiel Trevanion ihr ins Wort.
Sie warf ihm einen beleidigten Blick zu. „Es würde Lady Beatriss das Herz brechen, wenn Ihr erfahren würdet, warum sie in dieser Nacht zu mir kam. Und das wollen wir doch nicht, oder?“
„Wollte sie das Kind loswerden?“, fragte Finnikin.
„Ich glaube, sie war verwirrt. Und sie war erschöpft von dem Ritt. Deshalb erlaubte ich ihr, die Nacht über zu bleiben. Bis zu diesem Tag hatten die Mädchen und ich nur wenig Kontakt zum Rest des Königreichs. Zwölf der vierzig verbliebenen Waldbewohner sowie die Priesterin der Lagrami und ihre Mädchen standen im Kloster unter meiner Obhut. Ich traute niemandem.“
Das Mädchen kam zurück und goss mit zitternden Händen Tee ein.
„Vielen Dank, Japhra“, sagte Trevanion leise.
Sie nickte und verließ den Raum.
„In dieser Nacht rief mich der Geist meiner Mutter. Ich spürte sie, als würde sie mich in den Armen halten. Sie flüsterte mir Worte zu, an die ich mich am nächsten Morgen nicht mehr erinnern konnte, bis Beatriss mir von ihrem seltsamen Traum erzählte. Sie hatte geträumt, sie hielte ihr erstes Kind in den Armen. Und das Kind hätte zu ihr
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